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Jean Cocteau Gedenken 2013 in Deutschland

Laudatio Helmut Nüske: „Die vielseitigen Facetten eines Universalgenies"

 

Ein begehrtes Motiv für Sammler: Junger Orpheus, schreitend mit Harfe. Original-Radierung von Jean Cocteau, Abzug auf französischem Büttenpapier. Graphik von 1962, Paris.

Foto: www.galerie-marco.de

 

Berlin/Paris (bpb) Die Europäische Kultur Stiftung (Deutschland) hat im „Cocteau-Jahr 2013" Leben und Werk des französischen Multitalents Jean Cocteau gewürdigt, der vor 50 Jahren am 11. Oktober 1963 im Alter von 74 Jahren in Milly la Foret bei Paris starb. Zur Ausstellungseröffnung am 26. Mai 2013 im Museum Europäische Kunst Schloss Nörvenich (bei Köln, NRW) waren geladene Gäste aus EU-Ländern, Russland und Asien gekommen, in denen Künstlerkreise und Intellektuelle (wie in Japan) die Epoche Cocteaus und seiner Künstlerfreunde Pablo Picasso, Salvador Dalí, Coco Chanel, Diaghilev, Nijinsky, Serge Lifar und andere kennen.

In der Jahresausstellung des Museums werden bis 30. September 2013 Original-Graphik , Zeichnungen und Objekte von Jean Cocteau gezeigt. Die Exponate kommen aus der Collection von Helmut Nüske und Wolfgang Werth. Die Laudatio im Fürstensaal des Schlosses hielt nach musikalischer Einleitung des Gitarrenkünstlers Lajos Tar (Ungarn) der Cocteau-Experte und Kurator Helmut Nüske. Seine Würdigung hatte folgenden Wortlaut:

„Sehr verehrte Gäste!

Wir begrüßen hiermit herzlichst, die so zahlreich erschienenen Gäste aus dem In&endash;und Ausland, die teilweise doch lange Wege auf sich genommen haben, um an der heutigen Ausstellungseröffnung teilnehmen zu können. Über Ihre Anwesenheit freuen wir uns sehr!

Doch zu Beginn möchten wir den Gastgebern, und damit vor allem dem Museum für Europäische Kunst sowie der Europäischen Kulturstiftung Deutschland für Ihre Unterstützung danken, in diesem wunderschönen historischen Gebäude, diese Ausstellung präsentieren zu können.

Dank Ihrer Großzügigkeit können nun hiermit zahlreiche Objekte unserer Privatsammlung in mehreren Räumen dieses Schlosses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Objekte, die Zeugnis ablegen, vom breitgefächerten Kunstschaffen des französischen Ausnahmekünstlers Jean Cocteau.

 

Cocteau gehörte zu den Mythen.

Sein Name, wie der des Andre Gide, des Kafka, des Picasso, war eines der Losungsworte, an denen die jungen Schöngeister der ganzen Welt sich erkannten.

Cocteau war weder Moralist noch Zyniker. Sondern absoluter Ästhet. Fanatiker der Form, des Scheins, des Ausdrucks, der Gebärde. Es gab für Ihn nur eine unverzeihliche Sünde: Stillosigkeit! Klaus Mann sagte einmal über seinen Freund Cocteau: „Sein Abenteuer spielt sich in einer Höhe ab, die nicht weihevoll olympisch ist, sondern eher an die Entrückung des Akrobaten denken lässt, der weit über den Häuptern der entzückten Menge, am schwebenden Trapez, seine prekäre Arbeit verrichtet!"

Über Jean Cocteau als Gesamterscheinung zu sprechen oder über sein ganzes weitverzweigtes Werk ist kaum möglich. Die Ausstrahlung seiner Person und die seines Werkes sind so miteinander verbunden, dass man beides, wenn man von ihm spricht, nicht so einfach trennen kann. Er war Dichter und Gedicht zugleich. Cocteaus vielseitiges Schaffen entsprudelt einer Quelle, die den Namen „Poesie" trägt. Poesie, die menschlichste, persönlichste und aussagebereiteste aller Kunstmöglichkeiten, deren Innigkeit und Herzensnähe wir uns gerne im Alltag schämen.

Cocteau war das beständige Wunder, das aus Intellekt und harter Arbeit fortwährend schöpferische Aktivität entwickelte. Ob in der Literatur oder der bildenden Kunst. Aber wer war dieses anfängliche „Enfant terrible" der künstlerischen Avantgarde, der später von der Academie Francaise zum Unsterblichen der französischen Geisteswelt ernannt wurde?

 

Dazu ein Blick auf sein Leben und Werk:

Clemont, Eugene, Jean, Maurice Cocteau wurde am 05. Juli 1889 auf dem Landsitz seiner Familie in Maison Lafitte, einem noblen Pariser Vorort, geboren. Jean's brillante Intelligenz, seine Wendigkeit und Phantasie fiel schon in der Schule auf. Ungleich stärker besetzt, als die Rolle des viel zu früh verstorbenen Vaters, war die der Mutter: Eugene Le Comte, die ihren Sohn ein langes Leben hindurch begleiten konnte, gehörte zu einer Familie der bürgerlichen Elite. Nach ihrem Tod (ein halbes Jahrhundert später) wird sich Cocteau an die Jahre der frühen Kindheit wieder erinnern, an die Zeit der Märchen, die Ihm das deutsche Kindermädchen erzählte, mit ihren verzauberten Prinzen und tapferen Aschenputteln und mit diesen lange gehüteten Bildern wohl seinen schönsten Film drehen: „La Belle et la Bete" (Die Schöne und das Biest).

In Paris erlebte Jean von Anfang an die Privilegien des Wohlstands, hier begegnete er schon als Kind den Idolen der Theater und Musikbesessenen Metropole. Von hier aus hüpfte er in den Fußstapfen Marcel Proust's durch die Pariser Salons und erhielt Einlass in den innersten Zirkel der Gesellschaft. Das Paris der „Belle Epoche" lebte von Spektakeln und Skandalen und bildete eine einzige Bühne der Selbstdarstellung. Diesen glitzernden Boulevard betrat Cocteau schon mit 15 Jahren und nicht als staunender Zuschauer auf der Galerie, sondern sehr bald als Mitspieler im schnellen Aufstieg der Chargen!

1908 arrangierte Edouard de Max die erste Lesung des 18 jährigen Cocteau vor handverlesenem Publikum. In Cocteaus anonym erschienenen „Weißbuch" beschreibt er mit suggestiver Nüchternheit die verwirrenden Gefühle einer erotischen Entwicklung, die mit der Schwärmerei für seinen Klassenkameraden Pierre Dargelos begonnen hatte. Dargelos' faunhaftes Profil mit den aufgeworfenen Lippen, wurde zum persönlichen Signé das noch der 70 Jährige wie eine Unterschrift auf jede freie Stelle schnörkelte.

Maler, Musiker und Tänzer traten nun in sein Leben die Ihn zukünftig mehr inspirieren sollten, als alle Literaten die Ihn bisher begleiteten. Das Russische Ballett von Serge Diaghilev mit seinem Star Vaclav Nijinsky überwältige ihn durch die Ausdruckskraft der Tänzer. Als das Stück „Le Sacre du Printemps" mit der Musik von Igor Strawinsky am 29. Mai 1913 (also fast auf den Tag genau vor 100 Jahren) in Paris uraufgeführt wurde, gab es einen Theaterskandal der das Pariser Publikum schockierte. Cocteau aber war fasziniert und begriff, dass hier gerade etwas völlig Neues geschieht. Diaghilev war es auch der Cocteau den künstlerisch befreienden Satz zurief: „Etonne moi!" („Setzte mich in Erstaunen!") Diese Äußerung nahm Cocteau sehr ernst und wollte von nun an nur noch etwas unvergleichlich originäres erschaffen, das ihn dazu zwang, auf den dunklen Grund der inneren Tiefsee hin abzutauchen und dorthin wo niemand ihm folgen konnte, geheimnisvolle Entdeckungen zu machen, um der raunenden Menge im Stil eines Bänkelsängers davon zu berichten.

Cocteau lernte 1915 den acht Jahre älteren Pablo Picasso kennen, 1917 wurde das gemeinsam entworfene Ballett „Parade" uraufgeführt. Die freundschaftliche Beziehung zwischen Cocteau und Picasso dauerte ein Leben lang. 1921 kehrte Cocteau dem absurden Theater den Rücken und wandte sich um….in den folgenden Jahren vereinfachte sich Cocteaus Sprache zu der kristallklaren, kaltfunkelnden Eleganz seiner besten Werke und entwickelte jene Essenz die die eigentliche Cocteau'sche Wirkung ist.

In seinen Zeichnungen legte Cocteau großen Wert auf die Linie als künstlerisches Konzept. Eine unterbrochene, nicht fortgeführte Linie setzt sich in der Imagination fort. Sie lässt den Betrachter teilhaben an der Entdeckung des nicht dargestellten! Max Liebermanns Forderung „Zeichnen heißt weglassen", wird bei Cocteau zu einem gestalterischen Mittel.

In seinen fast klassischen Zeichnungen, erscheinen uns seine Gesichter und Gestalten, wie aus einem geistigen Bezirk kommend. So stellte er geistig&endash;seelische Innenräume dar und keine Raum- oder Personenillusionen. Der Geist und das Herz müssen sich gefangen nehmen lassen, von einer gedanklichen und sinnlichen Wirklichkeit, dann ist diese leib&endash;seelische Einheit erkennbar, die seinen Bildern das Leben einhaucht.

Cocteaus rastlos nervöse Produktion scheint auf dem Zenit seines Erfolges zügellos: Er schöpft in den nächsten Jahren seine ganze vielseitige Begabung aus um als „Tausendsassa" in allen Kunstformen zu brillieren: als Zeichner, Maler, Lithograph, Bühnenbildner, Keramiker, Lyriker, Essayist, Theaterautor und Filmregisseur. Er selbst formulierte es einmal so: „Ich springe von Ast zu Ast, aber immer im selben Baum!"

 

In den antiken Mythen entdeckte er Ödipus,

Antigone und Orpheus. Sie liefern den Stoff für seine poetischen Adaptionen. Auf die steinernen Masken dieser Urbilder des Tragischen, projizierte er die erotisch geschönten Gesichter seiner Wachträume, bis er den Orpheus Mythos in einen Cocteau Mythos umgeschmolzen hatte. Seine geistreiche Erfindung bestand darin, den banalen gegenwärtigen Alltag, antiken Themen gegenüber zu stellen.

In Jean Marais fand Cocteau nicht nur einen Schauspieler der seinen Werken gerecht wurde, sondern auch einen beständigen Lebensgefährten. Die Privatperson Cocteau lebte ungerne in Paris. 1947 kaufte er sich zusammen mit Jean Marais ein Haus in Milly la Foret, in der Nähe der französischen Hauptstadt. Hier konnte er ungestört arbeiten.

Um den öffentlichen, exzentrischen Cocteau gruppierten sich mittlerweile, wie selbstverständlich, alle großen Namen der französischen Kulturwelt wie z. B. Auguste Rodin, Henri Matisse, Georges Braque, die Sängerin Edith Piaf, Madame Coco Chanel oder eben Pablo Picasso. Die führenden Künstler seiner Zeit portraitierten Ihn, darunter Amadeo Modigliani, Man Ray oder später auch Andy Warhol.

Als er, 63-jährig, in die Reihe der „Unsterblichen" der Academie Francaise aufgenommen wurde, nahm das breite Publikum dies nicht als Ehrung eines bereits klassisch gewordenen Lebenswerkes hin, sondern es erregte eher ei.E r s t a u n e n. Wer hätte es für möglich gehalten, dass die ehrwürdige Akademie in ihre erlauchten Reihen einen jungen Feuergeist berufen würde! Doch ein Künstler, der sein gesamtes Werk einer poetischen Quelle entsprungen sah und auf einzigartige Weise, antike Überlieferungen mit einer modernen, europäischen Sensibilität, neu interpretierte, schien dem würdig zu sein.

Trotz der Schwächung durch einen Herzinfarkt, entdeckte Cocteau Mitte der 50er Jahre ein weiteres Betätigungsfeld: Die Fresko Malerei. So malte er 1957 den Hochzeitssaal in Menton aus, gestaltete eine Kirche in London und Villefranche, sowie 1959 die Kapelle in Milly la Foret, die seine letzte Ruhestätte werden sollte.

In seinen späten Keramiken die zwischen 1957 und 1963 entstanden, finden wir ausdrucksstarke Werke im Stile eines Picassos, jedoch mit meist nur linearen Bemalungen, welche der Meister gerne als „Tätowierungen des Ton" bezeichnete, um den eigenen Charakter des Materials nicht zu überdecken, sondern nur sinnhaft zu ergänzen.

 

Die deutschen Kunstsammler Wolfgang Werth (links) und Helmut Nüske stellten ihre Collection für die Jubiläum-Ausstellung 2013 zu Ehren von Jean Cocteau zur Verfügung. Die Europäische Kulturstiftung (Deutschland) präsentiert die Schau im Museum Europäische Kunst Schloss Nörvenich bei Köln (NRW).

Copyright Foto Patrick Bodenstein

 

Seinen letzten Film „Das Testament des Orpheus"

. . . bezeichnet Cocteau als ein Selbstbildnis, indem er noch einmal alle Freunde versammelt. In diesem Film erhebt sich der Unsterbliche zu seinem letzten Gang in eine andere Welt &endash; die er so oft schon beschrieben hatte. Begleitet von Engeln und mythologischen Gestalten.

Er äußerte sich wie folgt über diesen Film: „Wenn wir schlafen, müssen wir die Träume nehmen wie sie kommen. Genauso ist es in diesem Film. Nur träumen hier alle Zuschauer denselben Traum. Und darin könnten Psychoanalytiker unsere wirkliche Persönlichkeit erkennen. Man wird mich besser verstehen, wenn man meinen Film gesehen hat, als wenn man alle Tage mit mir Lebt!" Das ist die Rolle der Kunst: unser Nachtgesicht zu malen!"

 

Cocteaus Freundlichkeit

anderen Menschen gegenüber, war legendär und wurde gerne als „L' Elegance" beschrieben. Cocteau entzog sich in seinem künstlerischen Schaffen ebenso wenig durch Esoterik seinem Publikum, wie er sich in seinem persönlichen Leben von seinen Freunden abschloss. Sein Leben lang waren Ihm Freundschaften heilig. Für Cocteau war „der Andere" nicht, wie bei Jean Paul Sartre „Die Hölle", sondern das „Paradies", eine zum Leben und Schaffen notwendige Voraussetzung. „Das menschliche Gegenüber" war für Ihn stets der Anker, an dem er sein Boot festmachte. Kam es jedoch durch Schicksalsschläge zu einem Verlust dieses Ankers, so setzte eine Zeit der Haltlosigkeit, ein Treiben in die entlegensten Sphären, bis hin zur Opiomanie ein. Erst ein neuer menschlicher Anker und neue künstlerische Arbeit vermochten es, den Treibenden wieder festzuhalten.

 

Viele Künstler werden Schaffende, wenn Sie vom anderen befreit sind. Cocteau wurde erst er selbst in Gegenwart des anderen, des geliebten und geschätzten Menschen. Seine Gedanken und Einfälle entstanden im Gespräch, im Kontakt und zeigen daher eine außerordentliche menschliche Wärme, die sich in seinem Werk mit dauerhaftem Glanz wiederspiegelt.

Seine Liebe zu Deutschland drückte sich unter anderem durch die über Jahrzehnte dauernde Freundschaft zum Bildhauer Arno Breker, zum Schauspieler Gustav Gründgens und seiner Begeisterung für die Werke des Johann Wolfgang von Goethe aus.

Er nahm in seinem Schaffen etwas vorweg, was wir heute sehr viel häufiger vorfinden, das heißt, dass Kunst und Künstler sich weniger in einem Stil definieren, den man mit anderen Künstlern teilt, sondern, dass Kunst und Künstler sich eher in einer Haltung zur Kunst, einer Pose, wenn man so mag, definieren. Darin ist Cocteau, der viele Posen ausprobiert hat, der Vorreiter eines Kulturbetriebes gewesen, den man heute mit dem Wort „Multimedia Künstler" beschreiben würde. Er hat sein Leben mit in die Kunst integriert. Er gehörte keiner Schule an, sondern der künstlerischen Bewegung des 20. Jahrhunderts.

Er war ein Universalgenie, dem alles was er anfasste zum Kunstwerk geriet und dem wahrhaftig ein eigener Platz in der Kunstgeschichte zugesprochen werden muss.

„Hatte die Phantasie von Jean Cocteau den Himmel erklommen, so fehlte Ihm die Erde. War Ihm die Erde zu eigen, so fehlte Ihm der Himmel!"

Jean Cocteau starb am 11. Oktober 1963 im Alter von 74 Jahren in Milly la Foret. Ein inniges Versprechen jedoch hinterließ er uns handschriftlich und unauslöschbar auf seiner Grabesplatte: „Je reste avec vous" (Ich bleibe bei Euch.)

 

(Das Copyright an diesem Text liegt bei dem Autor Helmut Nüske und bei der Europäischen Kulturstiftung ( www.europaeische-kultur-stiftung.org ).

Bitte beachten: Nachdruck nur mit schriftlicher Genehmigung. Kataloge und Ausstellungsplakat bei schloss-noervenich@gmx.de

 

29.5.2013

 

 

 

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PROMETHEUS, Internet Bulletin for Art, News, Politics and Science, Nr. 190, June 2013