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Rainer Arke im Interview: Maler, Visualist und Objekt-Künstler

 

Von Kuratorin Anna Gisela Reinartz, Köln

 

Kuratorin Anna Gisela Reinartz beim Interview mit dem Künstler Rainer Arke in Köln am Rhein. Die Diplom-Psychologin hat treffende Fragen zum Verständnis von Kunst und zur Motivation des Visualisten gestellt. Die Antworten darauf machen neugierig, die 3-D-Objekte und Bilder des Künstlers im Museum Europäische Kunst Nörvenich (Deutschland) zu betrachten.

© Foto: Künstler-Archiv Marco-VG Bonn

 

 

Köln/Berlin (mea) Mit einer Retrospektive 2017 ehrt die Europäische Kulturstiftung (EKS, Deutschland) den Künstler Rainer Arke, der 1947 in Hamburg geboren wurde. Er ist Maler, Visualist und Designer der klassischen Moderne.

In seinem Schaffen verbindet er Realismus und Surrealismus mit Bildhauerei und Objektkunst zu dreidimensionalen Bildwerken. Als europäischer Visualist eröffnet er in seinem Werk dem Betrachter eine „neue Sicht des dreidimensionalen Sehens". ( https://de.wikipedia.org/wiki/Rainer_Arke )

Die Würdigung des vielbegabten Künstlers erfolgt bei der „Jubiläums-Ausstellung 30 Jahre Museum Europäische Kunst" Schloss Nörvenich (NRW) bei Köln. Ihm ist die zentrale Jahresausstellung gewidmet vom 1. Mai bis 1. Oktober 2017.

 

Museums-Kuratorin Anna Gisela Reinartz führte für das Internet-Bulletin „Prometheus" das nachfolgende Interview, das einen interessanten Einblick in Leben, Schaffen und Wirken des Künstlers gibt. Als Diplom-Psychologin hat sie treffende Fragen zum Verständnis von Kunst gestellt. Das Gespräch im Atelier von Rainer Arke hat folgenden Wortlaut:

 

 

Was für ein Typ von Mensch ....?

 

Reinartz: Was für ein Typ Mensch begegnet uns, wenn wir uns von dem „BilderMensch" Rainer Arke an die Hand nehmen lassen, um seine Bilder zu erleben?

 

Arke: Ich will mal so sagen: Ich bin 1947 geboren und wenn Sie so wollen immer noch im Spielalter. Wirklich, ich spiele gerne und auch mit den neuen Medien. Es erstaunt und erheitert mich immer wieder mich darauf einzulassen und die Möglichkeiten für mich zu entdecken und zu nutzen.

 

Reinartz: Ein Spieler also? Risiko inbegriffen?

Arke: Klar, dass gehört doch dazu, es soll schon kitzeln, sonst wäre das ja langweilig, also nichts Neues.

 

Reinartz: Welches Risiko gehen die Museumsbesucher denn ein, wenn sie sich auf Ihre Bildwerke einlassen?

Arke: Lassen Sie es mich mit dem Buchtitel von Fred Leeman sagen, der über die Anamorphose schrieb: „Ein Spiel mit der Wahrnehmung, dem Schein und der Wirklichkeit". Ob das ein Risiko ist, überlasse ich dem Betrachter.

 

Reinartz: Klingt einladend.

Arke: Ist es auch. Genau das macht mir Lust mich damit zu beschäftigen. Ich entdecke, z. B. in dem Buch von Leeman frühe visuelle Spielarten in der darstellenden Kunst. Die Freaks machten das alles ohne 3D-Brillen, da kann man nur staunen. Ich nutze heute die modernen Medien und arbeite daran, die Ideen ins 21. Jahrhundert zu transferieren.

 

Reinartz: Herr Arke, Oscar Wilde hat einmal gesagt: „Ziel der Kunst ist es einfach, eine Stimmung zu erzeugen". Was erwartet den Museumsbesucher dagegen bei sog. Psychomedialer Kunst?

Was wollen Sie uns mit den FLIEGENDEN BILDERN näher bringen?

Arke: Die Bilder fliegen ja nicht wirklich - wenn überhaupt nur im Kopf des Betrachters. Was es meint ist folgendes: Statt gewohnt statisch an der Wand zu hängen, lösen sich die Bilder von der Wand, um vielleicht eine phantastische Reise zu machen - durch den Raum und aus dem geöffneten Fenster zurück in die Natur, aus der die Protagonisten der Bilder ja stammen. Da ist zum Beispiel dieses Bild vom Schmetterling. Die Kanten des Rahmens verlassen die Wand, der Rahmen faltet sich, der Bildinhalt faltet sich weiter bis es einen Schmetterling werden lässt. Diese Bewegung verleiht dem Betrachter vielleicht Flügel... das lässt sich meditativ wunderbar mit einer Atemübung verbinden.

Oder dadurch, dass ein Bild gewellt ist, wirkt es wie ein kleiner fliegender Teppich auf der Wand und nimmt die Dynamik des Bildinhaltes psychomotorisch auf.

Auch eine andere Rahmung, als die gebräuchlich rechtwinkelige, trägt enorm dazu bei uns aus den angepassten Sichtweisen heraus zu führen.

Wenn Sie so wollen, eine spielerisch heitere, vielleicht auch psychisch heilsame Verwirrung.

 

Reinartz: Ja, in der Psychotherapie betreten Menschen durchaus neue Wege, wenn sie mit Hypnotherapie arbeiten, die von dem Psychotherapeuten Milton H. Erickson maßgeblich geprägt wurde. Die Methode der „Konfusionstechnik", man kann sie als „heilsame Verwirrung" Definieren, führt oft zu verblüffenden Einsichten.

Wenn ich Sie also richtig verstehe, geht es Ihnen somit nicht um das vordergründige „Gefallen" eines Werkes?

Arke: Definitiv nicht. Mit diesem Thema haben sich im letzten Jahrzehnt der Informatiker Joachim Denzler und der Hirnforscher Christoph Redies ausführlich beschäftigt und sind ja zu der durchaus verblüffenden These gekommen: „Was wir einfach verarbeiten können, empfinden wir als schön".

Meine Deckenbilder mit der Perspektive VON UNTEN AUF OBEN SCHAUEN sind alles andere als einfach in diesem Sinne. Sie müssen mal Besucher in Ausstellungen beim Betrachten beobachten: sie bewegen sich unter den

Bildern, um die Perspektive zu erfassen und haben Spaß dabei.

Die Bilder in der Ausstellung verlassen den rechten Winkel, hängen hoch an der Raumdecke und kippen von der Wand ab. Das trägt dann nochmals zu einer Steigerung des psychomedialen Wirkens bei. Man braucht aber ein bisschen Standfestigkeit beim längeren Hochschauen (wo der Mensch heute doch meistens nach unten schauend durch die Straßen läuft).

 

Reinartz: Sie wollen uns also Mut machen in den Räumen die uns umgeben, nicht nur schmückende Objekte ästhetisch zu arrangieren, sondern den Geist und die Psyche durch Kunst zu beleben und zu erfrischen?

Arke: Ja, das haben Sie schön gesagt. Mir gefällt es eben mit unerwarteten Sichtweisen zu spielen.

 

Reinartz: Also doch der Spieler.

Arke: Zweidimensional ist doch alles bereits gemalt.

Schon zu Michelangelos Zeiten haben sich Künstler auf den Weg begeben und sich mit der dreidimensionalen Darstellung auseinandergesetzt.

Es entstanden Werke, wie in der Sixtinischen Kapelle, in denen der Bildinhalt plastisch für den Betrachter erlebbar wurde und bis heute Menschen

fasziniert. Das nannte man später ANAMORPHOSE. Ich schließe mich dem an und nenne es Psychomedial, was meint, dass Körper und Perspektiven in den Werken der Wahrnehmung des Betrachters nicht angepasst sind.

Heute erleben wir diese Dimensionen in digitalen Welten, vor allem im Film und der Virtual Reality mit Unterstützung spezieller Brillen. Und nebenbei, die Holographie ist im Anmarsch.

 

 

Das Gemälde ROUSSILON von Rainer Arke in dreidimensionaler Faszination für Betrachter. Wenn sich die betreffende Person vor dem Bild-Objekt bewegt, dann beginnt die Überraschung. In der Wahrnehmung des Betrachters oder der Betrachterin wandelt sich unerwartet die Sichtweise.

© Foto bpb-press

 

 

Reinartz: Sie haben also die alten Meister studiert und wollen sie wiederbeleben?

Arke: Auch! Aber meine psychologische Ausbildung und mein Beruf als Graphiker und Designer haben mein Interesse an diesen Dingen geweckt und mich zum Experimentieren auf künstlerischer Ebene angeregt.

 

Reinartz: Ich hatte im Jahr 2015 anlässlich Ihrer Ausstellung im Rahmen des „ Kunstspektakels" in der Aula Carolina in Aachen, erstmals die Gelegenheit und das Vergnügen, die Wirkung Ihres ersten Bildes der Serie „REVERSE PERSPEKTIVE" bzw. Objekte auf den Betrachter zu erleben. Die Zuschauer bewegten sich nach meiner Beobachtung beinahe tänzerisch vor dem Bild.

Arke: Stimmt, das zunächst augenscheinlich Zweidimensionale in der Wahrnehmung des Betrachters wandelt sich unerwartet in die dritte Dimension. Hierdurch steht nicht mehr der Bildinhalt im Mittelpunkt, sondern die Veränderung der Form, die zu einem mentalen Erlebnis beim Betrachter führt. Bilder werden dann plastisch, bewegen sich scheinbar und die Perspektiven verändern sich mit dem Blickwinkel. Das lädt den Betrachter spontan ein der Bewegung zu folgen wie Sie es in Aachen beobachten konnten, als die Besucher vor dem Bild ROUSSILLION die Reverse-Perspective erlebten. Die Reaktion der Zuschauer hat mich tatsächlich angeregt, mehrere Bilder dieser Art zu entwickeln. Allerdings eignet sich nicht jedes Motiv dazu. Jetzt hängen unterschiedliche Bilder dazu in der Ausstellung, wie z. B. der „VENEDIG CUBUS" oder die graphischen Objekte.

 

Reinartz: Was ist noch anders?

Arke: Betrachten Sie den ANGLER. Was passiert da? Wenn man ein normales Bild von der Wand hängend schräg nach vorne kippt, verengt sich der Bildinhalt, z. B. eine Figur und wirkt dadurch klein und flach.

Beim Bild des ANGLERS ist die Figur mit längeren Beinen als normal proportioniert dargestellt. Wenn das Bild dann nach vorne geneigt wird, erhält die Figur ihre ursprüngliche Proportion zurück und der Fisch zieht das Bild förmlich aus dem Rahmen. Im gleichen Maße ist das Objekt FENSTER eine anamorphe Darstellung.

 

Reinartz: Was passiert denn dann beim Betrachter?

Arke: Nun, ich bin kein Wissenschaftler - aber es scheint damit zu tun zu haben, dass nach Erkenntnissen der Neurobiologischen Wissenschaft das, was wir unter Geist und Bewusstsein verstehen, von „subjektiven Erlebniszuständen" abhängig ist und an die Aktivität assoziativer Areale der Großhirnrinde ( Kortex ) gebunden ist. Plötzlich entsteht eine Dreidimensionalität. Diese Bilder stimulieren wahrscheinlich Kortexfunktionen und führen beim Betrachter zu neuen Einsichten und Erlebnissen, also zu dem, was sie, Frau Reinartz, bereits in Aachen beobachten konnten.

 

Reinartz: Also gelingt Ihnen, ähnlich wie Gauklern, dass wir erst mal nicht glauben, was wir sehen? Und das ganz schnell. Die Neurobiologen sprechen gern von der „N100 Komponente" also ab 100 Millisekunden nach Reizbeginn?

Arke: Das hat im Museum natürlich noch keiner gemessen, aber man könnte es sich so vorstellen. Ich war auch sehr erstaunt darüber, wie schnell die Zuschauer vor dem Reverse-Perspective-Objekt ROUSILLION in Bewegung waren, oder auch die Anamorphose beim ANGLER untersuchten. Sogar Kinder haben das gemacht. Sie fühlten sich auch von den 3D-Blicken meiner Dino-Figuren verfolgt und fanden das sehr lustig. Die Eltern wollten die Dinos schmunzelnd als Erziehungshelfer einsetzen. Es passiert also jede Menge, die assoziativen Kortexareale kommen bildlich gesprochen ins Schwitzen und die Besucher in Bewegung und ins Gespräch.

Das ist doch beste Museumskultur, oder?

 

Reinartz: Da stimme ich Ihnen uneingeschränkt zu. Ich würde sogar soweit gehen und die Annahme wagen, dass der Betrachter den Eindruck hat, intuitiv und ohne Anstrengung ein Problem gelöst zu haben, wie es ja typisch ist für kreative Prozesse und deshalb mitunter als sehr lustvoll erlebt wird. Oder sind wir jetzt doch wieder bei Oscar Wilde und der „Stimmung" gelandet?

Arke: Nein, sind wir nicht, was aber nicht bedeuten soll, dass ich dem Museumbesucher keine gute Stimmung gönne. Es soll ja auch unterhaltsam sein. Der Unterschied zu den Kunstwerken, die mehr oder weniger direkt eine Stimmung erzeugen und meiner Kunst ist, dass die Stimmung das Ergebnis eines (wie Sie es eben ausdrückten) intuitiven, lustvollen, kreativen Prozesses ist und nicht auf dem Tablett serviert wird. Auf diesem sollte man sich lieber einen guten Wein servieren lassen, wenn sie mich fragen.

 

Reinartz: Ja, Herr Arke, lassen Sie mich unser Gespräch in Anlehnung an den Konstruktivismus mit folgenden Worten resümieren: „Denn wir können nicht wissen, ob wir irgendetwas niemals wissen werden und der Seher wird zum selbstständigen Entdecker".

Gisela Reinartz bedankt sich bei Ihnen für dieses Gespräch und wünscht weiterhin „lustvolle Kreativität"

 

(1. März 2017)

 

 

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PROMETHEUS, Internet Bulletin for Art, News, Politics and Science, Nr. 235, March 2017