Von Marco Bodenstein
Andy Warhol with his friend Marco Bodenstein in the famous Club Nachtigal (Nightingale) in Bonn, Germany.
Von Marco Bodenstein
Andy Warhol with his friend Marco Bodenstein in the famous Club Nachtigal (Nightingale) in Bonn, Germany.
( Fotograph: Film-Archiv MARCO )
Bonn/Paris &endash; Es gibt viele Geheimnisse von Andy Warhol. Er hat darüber nie geschrieben. Er nahm sie bei seinem Tod am 27. Februar 1987 in New York mit in das Grab. Zu einem unerfüllten Traum des Pop-Art-Stars gehörte der Wunsch, seinen Hauptdarsteller des Films "Flesh", Joe D'Allesandro, von dem Bildhauer Arno Breker modellieren zu lassen.
"Ich liebe Brekers Skulpturen so sehr wie Joe, ja vielleicht noch mehr", sagte Warhol bei einem Treffen mit dem Verleger des Künstlers, Joe F. Bodenstein. Die Erinnerung an diese erste Begegnung Warhols mit meinem Vater ist mir sehr gegenwärtig, denn ich war dabei. Es war in dem Club "Nachtigall" in Bonn, der dem Galeristen Hermann Wünsche gehörte. Als Warhol ab 1975 sich verstärkt auf Porträts konzentrierte, hatte Wünsche Warhol regelmäßig nach Deutschland eingeladen.
So entstanden unter anderem Serigrafien und Originalarbeiten "Porträt Willy Brandt". Die Aufträge dazu erteilte Wünsche, weil er den ersten deutschen SPD-Bundeskanzler in der modernen Kunst verewigen wollte. Ein weiteres Großporträt schuf Warhol von Mildred Scheel, der Frau des damaligen deutschen Bundespräsidenten und der Gründerin der Deutschen Krebshilfe. Auch der Kölner Dom, die große weltbekannte Kathedrale am Rhein, war ein Objekt der typischen Warhol-Grafik. Schließlich hatte Warhol seinem Freund und Mäzen Hermann Wünsche zu liebe auch eine bunte Graphik des Komponisten Ludwig van Beethoven geschaffen. Dieser Weltstar der Klassik war in Bonn geboren worden.
Wie es zum ersten Treffen zwischen dem Breker-Editeur und Andy Warhol kam, berichtet Joe F. Bodenstein in seinen (bisher nicht veröffentlichten) Aufzeichnungen "Erinnerung an die Künstler" selbst. Ich zitiere daher daraus folgende Passage :
"Unser Treffpunkt entsprach dem Gefühl Andy Warhols. Es war "Die Nachtigall", eine kleine, intime Bar, in die ihr Besitzer Hermann Wünsche nur ausgewählte Leute ließ. Warhol war dieses Lokal im Halbdunkel sehr angenehm. Es lag unweit seines Hotels "Bristol" an der gleichen Kronprinzen-Strasse (Crown-Prince-Street), wie Wünsches führende Galerie in der Hauptstadt am Rhein.
Warhol saß an der Bar, als ich mit meinem Sohn Marco gegen 18.30 Uhr eintraf. Er trank Coca Cola. Die Atmosphäre war unkompliziert. Warhol wusste, wen er traf. Wir waren wiederum mit der schillernden Person tschechischer Herkunft vertraut, der zum führenden Pop-Künstler der USA wurde. Ich stellte mich als jüngerer nochmals vor. Warhol kam dann gleich zur Sache. Er sei fasziniert vom Können Arno Brekers.
Ein unschuldig blickender Jüngling mit Baby
Dann zog Warhol ein Foto aus seiner Jackentasche. Es war das Bild eines nackten jungen Mannes mit einem Kleinkind auf dem linken Schenkel. Es hätte ein Werbefoto sein können: Junger Vater wirbt für Baby-Krem oder Vaseline. Doch dann entdeckte ich ein freches Dato am linken Oberarm des sonst unschuldig wirkenden Jungen. Ich dachte: da muss was anderes dahinter sein.
"Ich wäre froh, wenn Breker diesen Jüngling in bronze modellieren würde" (I would be glad, if Breker could make a bronze of this Youth).
Ich sagte, er sieht wirklich interessant aus. Dann fragte ich: "Wie alt ist der Junge ?"
Schließlich erfuhr ich den Hintergrund. Der mir noch unbekannte Schöne war der Lieblings-Star des erst kürzlich veröffentlichen Films "Flesh", Joe D'Allesandro. Warhol hatte 1974 den erotischen Streifen "Flesh for Frankenstein" mit Paul Morrissey als Direktor produziert. Der charmante Joe lässt zur Musik von George Gershwin alle Hüllen fallen. Eine weitere Hauptrolle spielt der Deutsche Udo Kier. Warhols Beobachtungen von Schönheit, Liebe, Erfolg sind verpackt in Humor und Sarkasmus.
Joe D'Allesandro war am 31. Dezember 1948 in Pensacola (Florida) geboren und somit 20 Jahre jünger als Warhol. Er lernte ihn kennen "in der Blüte seiner Jugend". Ich fragte Warhol, warum er den begehrten Jungen von Breker modellieren lassen wolle.
Die Antwort war: "Ich liebe Brekers Skulpturen, wie Joe &endash; ja vielleicht noch mehr. Skulpturen sind treuer als Menschen, sie können nicht davon laufen."
Fasziniert von der Skulptur "Der verwundete"
Brekers Werk habe schon als junger Kerl seine Aufmerksamkeit erregt, vertraute uns Warhol bei einem dritten Cola mit Rum an. "Ich hatte zuerst das Foto von Brekers VERWUNDETEN gesehen. Diese Figur enthält für mich so viele Emotionen: Kraft, Schönheit, Zartheit, Schmerz und Brutalität", war Warhols Interpretation.
Ich zeigte mich erstaunt: "Warum hat der große Warhol, König der POP ART, im Geheimen so ein großes Interesse am klassischen Realismus?".
Und er sagte ohne lange zu überlegen: "Die Sehnsucht nach dem Schönen ist in mir besonders stark.. Ich beanspruche ja auch in meiner Kunst Ästhetik und Schönheit. Diese bringe ich mit meinen Mitteln zum Ausdruck."
Er sei vielseitig, sagte Warhol.. Und was das Interesse an der Schönheit des Körpers betrifft, so gehe er wohl "zu den Wurzeln" seiner Herkunft zurück. "Sie liegen ja in der Tschechoslowakei und damit in Europa. Da kommt einem die Antike nicht aus dem Sinn".
Spontan frage ich Warhol: "Was mögen Sie eigentlich nicht?"
Warhol sagte mit einem kühlen Blick in meine Augen "What I don't want I only know, when I got it"
Andy Warhol and Breker's Editor Joe F. Bodenstein discussing cooperation in art and the "Project d'Allesandro".
Das Ende dieser faszinierenden Geschichte ist, dass die von Warhol gewünschte Skulptur wegen anfänglichen Terminschwierigkeiten nicht zustande kam. Joe D'Allesandros Besuch in Europa und im Atelier Brekers wurde hinausgezögert. Als Andy Warhol am Sonntag, dem 22. Februar 1987 im New York Hospital nach einer Gallenblasenoperation starb, war sein Traum von der Skulptur nach Joe D'Allesandro endgültig aus. Gemeinsam blieb den beiden Künstlern letztlich der Todesmonat. Arno Breker starb am 13. Februar 1991 im Alter von fast 91 Jahren. Er überlebte den um 28 Jahre jüngeren Künstlerkollegen Warhol um vier Jahre.
(Copyright MARCO, Bonn, Germany, 1987)
"The Wounded", by Arno Breker
The Wounded, by Arno Breker (detail)
Copyright 1987 MARCO, Bonn, Germany.