Von Dr. Antje Vollmer,
Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Bonn/Berlin (bpb) Eine der großen Frauen deutscher Politik ist die Theologin und Publizistin Dr. Antje Vollmer. Sie gehört der Koalitionspartei Bündnis 90/Die Grünen, die mit SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder die Regierung von Helmut Kohl abgelöst hat. Die 1943 geborene Philologin engagiert sich bereits vor ihrer Wahl zur Vizepräsidentin des Deutschen Parlaments (1994) für die christlich-jüdische Versöhnung, die Aussöhnung zwischen den Vertreiberstaaten Tschechien, Slowakei, Polen mit den vertriebenen Menschen aus Schlesien und dem Sudetenland. Sie tritt ferner für Religionsfreiheit und Menschenrechte in Tibet ein, die der im indischen Exil lebende Friedensnobelpreisträger Dalai Lama von der Volksrepublik China seit über 50 Jahren einfordert.
Dr. Vollmer ist kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/die Grünen. Sie tritt für die Freiheit der Kunst ein. Dieses im Grundgesetz der Bundesrepublik verbriefte Recht müsste eine demokratische Selbstverständlichkeit sein, wird jedoch keineswegs von allen in Deutschland respektiert. So wird Arno Breker (1900-1991) über seinen Tod hinaus von Kunsthistorikern und Medien wie ein Rechtloser behandelt, weil er im Dritten Reich Staatsaufträge ausgeführt hatte. Als es 1998 zu einem Protest gegen Antje Vollmer kam, weil diese eine Ausstellung "Kunst des Buddhismus" im Museum Schloss Nörvenich bei Köln in Anwesenheit von internationalen Gästen und Diplomaten eröffnete, wies sie öffentlichen Druck auf ihre Person entschieden zurück. Parteimitglieder und linke Künstler wollten sie zwingen, das Museumsgelände nicht zu betreten, weil zu den Sammlungen neben Arbeiten von Marc Chagall, Pablo Picasso, Ernst Barlach, Salvador Dali, Henry Moore, Wilhelm Lehmbruck, Andy Warhol, Alexander Calder, Marc Tobey, Jean Fautrier, Jonny Friedländer, Otto Dix, Gerhard Marcks, Franz Marc, Emil Nolde, Max Liebermann, Ernst Fuchs u.a. auch klassische Bronzefiguren Brekers gehörten.
in einer Pressemitteilung:
1. Wir leben in einem freien Land und einer offenen Gesellschaft. Auch wenn ich sehr gut verstehen kann, dass die Scham über die zwölf Jahre Nationalsozialismus Menschen dazu bringt, diese Zeit am liebsten aus der Geschichte tilgen zu wollen, ist es doch nicht sinnvoll, sie zu tabuisieren.
Wir können zwölf Jahre nicht aus der Geschichte tilgen, auch nicht aus der Kunstgeschichte. Allerdings ist es auch nicht richtig, Kunst aus ihrem geschichtlichen Zusammenhang zu lösen, sie als reines Phänomen der Ästhetik zu betrachten. Wenn wir Kunstwerke ausstellen, sollten sie auch in ihren geschichtlichen Ort eingeordnet und historisch gekennzeichnet sein. Sie haben eine Vorgeschichte und eine Nachgeschichte. Sie haben vor allem eine Wirkungsgeschichte.
2. Generell gilt: In der Kunst ist Wahrheit, Kunst lügt nicht. Das gilt auch für den Nationalsozialismus und seine Kunst. Das Ergebnis der Kulturpolitik der NS-Zeit war eine Kunst, die in doppeltem Sinne nicht frei war. Die Nazis verfolgten viele, die meisten unserer besten Künstler und deren Werk. Aber auch die offizielle Kunst war nicht frei, sondern doktrinär, zwanghaft homogen.
3. Ich glaube, dass es eine ängstliches Vorurteil ist, zu denken, dass die bloße Möglichkeit, Kunstwerke aus der NS-Zeit zu betrachten, diese schon mit gefährlicher Macht ausstatten. Das ist magisches Denken. Kunst aber kann sich nur als Kunst rehabilitieren. Es ist für mich keine Frage, dass eine im Geiste unfreie Kunst sich in einem freien Wettbewerb der Künste und der Meinungen nicht durchsetzen können wird. Aber auch von moralisch oder politisch fragwürdigen Künstlern können wirkliche Kunstwerke erstellt werden--die Kunstgeschichte ist voll davon.
4. Schlechte Kunst oder politische Auftragsarbeit kann nicht mit hehrer Moral, mit Resolutionen oder Dämonisierung wirksam bekämpft werden.
Kunst muss frei sein, Kunst kann man nicht tabuisieren, zumindest sollten wir dies nicht tun.
Kunst muss mit den Mitteln der Kunst bekämpft werden, unfreie Kunst mit freier Kunst, mit Qualitätskriterien und mit den Mitteln der Kunstkritik, der offenen Auseinandersetzung.
5. Im übrigen war die NS-Kulturpolitik in d e n Bereichen am suggestivsten, wo sie am modernsten war: in den großen Stadien und Alleen, in den Filmen. Mit diesen Kunstprodukten aber leben wir seit langem; oft ohne sie zu kennzeichnen. (Beispiel: Olympia-Stadion in Berlin)
6. Wenn also Kritik geübt wird, dass man diesen Ort (das Kunst Museum) meiden soll, weil hier die Kunst Brekers ausgestellt wird, dann sage ich: Gerade diese Plastiken zu zeigen ist richtig. Denn in der Anschauung können wir ahnen, was an ihnen wirksam war.
Es lässt sich aber auch begründen, dass diese Kunst nicht mehr wirksam ist, dass ihr Pathos am Bewusstsein unserer Wirklichkeit und auch unserer Geschichte scheitert. Diese Kunst ist Ausdruck ihrer Zeit. Wir leben jetzt in einer Demokratie.
7. Jeder merkt: Die Gefahr in unseren Tagen droht nicht von diesen Bildwerken. Die Wähler der DVU, die rechtsradikalen Schläger, die Überfälle auf unsere ausländischen Mitbürger oder auf Behinderte ausführen, werden nicht von Arno Breker inspiriert. Sie kennen ihn nicht einmal.
Es ist Furcht am falschen Platz, wenn man hier einen Ort zur Tabuzone erklärt, anstatt sich der Geschichte zu stellen und im Heute und Jetzt die Gefahren des Heute und Jetzt zu bekämpfen.
8. Mit dem Kreisverband der Bündnisgrünen und im Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Düren ist eine öffentliche Diskussionsveranstaltung zur kritischen Auseinandersetzung mit Personen und Werk von Arno Breker geplant.
Eine objektive Diskussion über die Arbeit von Künstlern Diktaturen wie im Dritten Reich oder der kommunistischen DDR der Sowjetunion hat es in Deutschland bisher nicht gegeben. Nach Ansicht von Kunsthistorikern sollte dies nur unter einem neutralen Dach geschehen, aber unter Beteiligung des Kultur-Staatsministers Julian Nida-Rümelin, von Stiftungen, Kritikern und Freunden der Kunst von Arno Breker. Offizielle Kunstausstellungen haben sich bisher stets die Mehrheit gegen Mensch und Werk Brekers aufgebracht.
Als geeigneter Ort für die Findung von Fakten wäre auch eine der politischen Stiftungen der Parteien. Die Konrad-Adenauer-Stiftung (benannt nach dem ersten Bundeskanzler) hat durch seine zeitgeschichtlichen Tagungen überparteilich einen guten Ruf erworfen.
Interessant wären Debatten und Meinungsaustausch an kunstgeschichtlichen Orten in Deutschland:
1. Im ehemaligen Staatsatelier von Arno Breker in Berlin, in dem die Stiftung seines ehemaligen Meisterschülers Professor Bernhard Heiliger untergebracht ist,
2. Im Privat-Atelier Breker auf dem Gelände von Schloss Jäckelsbruch / Eichwerder, das seit DDR-Zeiten der Bildhauer Horst Engelhardt nutzt
3. In der Stadt Wriezen im Oderbruch an der Grenze zu Polen, wo Brekers geräumige Ateliers mit eigenem Bahnanschluss standen
4. im Haus der Kunst in München, wo Breker bei den großen Ausstellungen vertreten war,
5. in einem Gebäude des Olympia-Stadions in Berlin, wo Breker 1936 die Olympische Silbermedaille im Kunstwettbewerb (Gold für Italien) erhielt.
(© Prometheus 82/2002)