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Peter Suhrkamp: Arno Breker hat mich vor den Nazis gerettet

Er war der Einzige, der Suhrkamp aus der Todeszelle half--Eidesstattliche Erklärung nach über 50 Jahren gefunden

 

Berlin (bpb) Die Europäische Kultur Stiftung Berlin (EKS) hat in ihre historischen Recherchen den Widerstand gegen Hitler-Deutschland in der NS-Zeit einbezogen. Bei Arbeiten zum Problem von Kunst und Macht sowie über das Wirken von Künstlern in einer Diktatur wie der NS-Zeit, in der kommunistischen Sowjetunion und in der ostdeutschen DDR ist man auf ein wichtiges Dokument gestoßen: Es ist die eidesstattliche Erklärung des in der NS-Zeit verfolgten Verlegers Peter Suhrkamp.

 

Suhrkamp war Chef des 1886 von Samuel Fischer gegründeten jüdischen Verlages, der heute noch zu den führenden Häusern in Deutschland gehört. Peter Suhrkamp hatte die Erklärung am 21. August 1946 ausgestellt, als dem ehemaligen Staatsbildhauer Breker in der amerikanischen Besatzungszone Bayern der Entnazifizierungs-Prozess gemacht wurde. Aus der Erklärung des Verlegers geht hervor, dass Breker als einziger Suhrkamp half, als dieser 1944 in der Todeszelle einem schrecklichen Ende entgegen blickte. Die Erklärung des Verlegers ist auf einem Briefbogen des Suhrkamp Verlag Berlin verfasst.

 

 

 

 

Erklärung von Verleger Peter Suhrkamp im Auszug. Das Dokument trägt eigenhändige Unterschrift "Heinrich Peter Suhrkamp" und das Datum vom 21. August 1946. Die Original- Erklärung ist auf der Schreibmaschine geschrieben. Sie umfasst zwei Seiten. 

(© Historical-Archive EKS Berlin, MARCO-VG,Bonn.

Reprint of the document by permission only)

 

 

Keine Breker-Publikation bei Suhrkamp über den Retter des Verlages

Die Bücher, die Samuel Fischer nach Verlagsgründung veröffentlichte, zählen heute zu den klassischen Texten der deutschsprachigen Moderne. Es sind Titel von Gerhart Hauptmann, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Alfred Döblin, Robert Musil, Theodor Fontane und Thomas Mann.

Allein die NS-Jahre 1933 bis 1945 füllen viele Kapitel deutscher Verlagsgeschichte, da Samuel Fischer als jüdischer Verleger, der zudem viele in dieser Zeit verbotene und verbrannte Bücher im Programm hatte, vom NS-Regime verfolgt wurde. Vor diesem Hintergrund ist auch die Position der heutigen Verlegerin des S. Fischer Verlages, Monika Schoeller, zu sehen: "Seit der Rückkehr aus dem Exil hat sich der Verlag nicht bloß im Bewusstsein seiner aufklärerischen Tradition kritisch mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandergesetzt, er wollte und will auch die Erinnerung an das begangene Unrecht, an den Widerstand gegen die Diktatur und an die Opfer wach halten."

Zu weiteren Autoren des Samuel Fischer Verlages gehören u.a. Franz Kafka, Hugo von Hofmannsthal, Hubert Fichte, Max Horkheimer, Heinrich Mann, Thomas Mann, Arno Schmidt, Franz Werfel, Carl Zuckmayer, Stefan Zweig. Darüber hinaus erscheinen Werke internationaler Autoren in deutscher Übersetzung: Margaret Atwood, Jorge L. Borges, Bruce Chatwin, Joseph Conrad, William Golding, Nadine Gordimer, Doris Lessing, Jane Smiley, Anne Tyler oder Virginia Woolf.

Die Taschenbuchreihen DIE ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS umfasst nach Verlagsangaben über 100 Bände: Memoiren, Erlebnisberichte, Tagebücher. Die Nachfolger von Samuel Fischer und Peter Suhrkamp haben in den 57 Jahren nach Kriegsende jedoch nichts über Arno Breker publiziert, dem die Existenz des Verlages über die NS-Zeit wesentlich mit zu verdanken ist.

 

 

Die Erklärung von Peter Suhrkamp hat folgenden Wortlaut

 

 


 

SUHRKAMAP VERLAG BERLIN

VORMALS S. FISCHER VERLAG

 

 

GESCHÄFTSLEITUNG BERLIN W 35 und BERLIN-ZEHLENDORF

FERNSPRECHER 807056 FORSTSTRASSE 27

 

 

Betrifft : A R N O B R E K E R

 

Vorweg teile ich zu meiner Person mit, dass ich mir seit 1933 zunächst als Vorstandsmitglied der S. Fischer Verlage A.G. und seit 1936 als alleiniger Leiter des Verlages - zur Aufgabe gesetzt hatte, den weltbekannten literarischen S. Fischer Verlag während der Zeit des Nationalsozialismus in seiner wirtschaftlichen und literarischen Unabhängigkeit zu bewahren. Das hat am Ende zu meiner Verhaftung am 13. April 1944 und einer Anklage wegen Hochverrats und Landesverrat geführt. Trotzdem ist es gelungen, die mir gestellte Aufgabe durchzuführen, und das nicht zuletzt durch die Hilfe von Herrn Breker.

Meine erste Berührung mit dem Bildhauer Arno Breker fällt in das Jahr 1933. Damals arbeitete er an Porträtbüsten zweier Freunde von mir, von dem Verleger Gottfried Berman-Fischer, Schwiegersohn des Begründers vom S. Fischer Verlag, einem Nichtarier, und von dem Cellisten Max Baldner, der mit einer Nichtarierin verheiratet war.

Unsere erste persönliche Begegnung fällt in das Jahr 1934. Ich traf Breker in einer Abendgesellschaft bei Frau Eva Noack, einer Nichtarierin. In dieser Gesellschaft waren nur Gäste anwesend, die eindeutig gegen das Nationalsozialistische Regime eingestellt waren.

Meine nächste Begegnung mit Breker war in einer Abendzusammenkunft im Hotel Adlon in Berlin als Gäste von Gerhart Hauptmann. Dabei war auch der Maler Professor Leo von König anwesend. Mit diesem Abend begann eine enge Verbindung zwischen Gerhart Hauptmann und Arno Breker.

Gerhart Hauptmann hat bis zu seinem Tode Breker als Künstler und Menschen wegen seiner persönlichen Lauterkeit und seiner großen Begabung außerordentlich geschätzt. Breker hat zum 80. Geburtstag von Gerhart Hauptmann, 1942, eine Porträtbüste des Dichters gemacht, obgleich die offiziellen Stellen in Berlin eine Feier dieses Geburtstages ablehnten, und Geburtstagsfeiern in Breslau und Wien, bei denen diese Büste ausgestellt war, oppositionelle Bekundungen gegen das Propagandaministerium waren.

Zwischen dem Maler Leo von König und Breker wurde an jenem Abend eine Freundschaft geknüpft. Breker nahm Atelier und Wohnung in der Nachbarschaft von Leo von König. Er war nicht Parteigenosse und sympathisierte auch nicht mit der Partei. Ihn bewegte einzig die Frage seiner künstlerischen Entwicklung. Dafür, sowie für seine Existenz war er auf Aufträge angewiesen. Es ging im wirtschaftlich sehr schlecht.

In dem Bemühen um solche Aufträge beteiligte Breker sich an einem Wettbewerb für die olympischen Spiele 1936. Seine Arbeiten lenkten die Aufmerksamkeit auf ihn, und meines Wissens ist er im Anschluss daran zu Hitler bestellt worden.

Danach bin ich Breker mehrere Jahre nur im Vorübergehen begegnet. Im Jahre 1940--inzwischen war Breker in die Reihe der ersten Bildhauer vorgerückt, ihm war das Goldene Parteiabzeichen verliehen worden, und er arbeitete in Verbindung mit Speer, der damals Architekt der Partei war--wurde ich von Breker zu einem Abend eingeladen. Zwischen uns stellte sich mühelos der alte Kontakt wieder her. Es war durchaus möglich, mit Breker Kritik am politischen Programm der Partei, an der politischen Entwicklung und an führenden Ministern wie Göring, Goebbels, Himmler, Rosenberg etc. zu üben. Auch Breker selbst übte schärfste Kritik.

Bis zu meiner Verhaftung im April 1944 haben wir uns dann häufiger getroffen und Breker hat sich jederzeit an kritischen politischen Gesprächen beteiligt, auch wenn diese führende Nationalsozialisten betrafen. Mein Eindruck während dieser Jahre war, dass Breker den Anschauungen der Partei fern stand, dass ihn aber die künstlerischen Projekte der Partei als Bildhauer äußerst interessierten.

Er war bei den meisten Stellen der Partei beispielsweise im Propaganda-Ministerium, den Rosenberg-Dienstellen und bei der SS nicht geschätzt, sondern eher feindlich angesehen. Seine Ausnahmestellung beruhte auf der Verwendbarkeit seiner Plastik, die, von Michelangelo und Rodin herkommend, für die plastische Gestaltung von großen Räumen und freien Plätzen besonders geeignet war.

Breker hat seine Ausnahmestellung entschieden für die Verwirklichung seiner künstlerischen und kulturellen Ideale benutz, und das gegen die Intentionen der Partei. Das kam besonders zum Ausdruck in seiner Zusammenarbeit mit französischen Künstlern; war es die Absicht der Partei und der Politik des Dritten Reiches, den französischen Geist mit allen Mitteln zu vernichten, so hat dagegen Breker seinerseits vieles getan, um der französischen Kunst doch Entfaltungsmöglichkeiten zu sichern und um französische Künstler vor dem Zugriff der Gestapo zu schützen.

Ebenso hat Breker seine Stellung benutzt, um künstlerischen und literarischen Institutionen in Deutschland zu helfen, die von der Regierung und der Partei verfolgt und bekriegt wurden. Ich habe daran teilgenommen, als er für den Bildhauer Gerhard Marcks und den Kunstkritiker Carl Linfert eingesprungen ist, und wie er den Karl Rauch Verlag in Dessau vor der Schließung bewahrt hat.

Im April 1943 sollte auch mein Verlag geschlossen werden. In dem Kampf um die Existenz dieses Verlages hat Breker mich bei der Parteikanzlei und im Propaganda-Ministerium durch wiederholte Schritte entschieden unterstützt. Als ich verhaftet war, war er der Einzige, der auf Bitten meiner Frau persönlich Schritte zu meiner Befreiung unternahm.

Er hat sich darin nicht beirren lassen, als die Anklage gegen mich auf Hoch- und Landesverrat lautete und als ihm von höchsten Stellen die Gefahr eines Eintretens für mich bedeutet wurde.

Er hat persönliche Gefahr nicht gescheut und mich im Gefängnis besucht, als ich dem Volksgericht zum Prozess überstellt war, obgleich ihm mitgeteilt wurde, dass mir der Strang wegen politischen Hoch- und Landesverrats bestimmt sei.

 

Die Richtigkeit dieser Darstellung versichere ich an Eidesstatt 

Berlin, den 21. August 1946

 

(Heinrich Peter Suhrkamp)

 


 

(Copyright: Prometheus 82/2002, reprint allowed by mentioning Prometheus Art-Bulletin)

 

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Nr. 82, Spring 2002