Konrad Adenauer, Bundeskanzler, by Yrsa von Leistner, 1955
"Archiv Y.v.Leistner/MARCO-VG,Bonn
Bonn (bpb) Die erste Porträtbüste von Konrad Adenauer nach 1945 hat eine Frau geschaffen: Yrsa von Leistner. Die adelige Dame wurde 1921 in München geboren und hat sich schon früh der bildenden Kunst gewidmet. Sie gehörte später zu den wenigen Künstlerinnen, die den ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland porträtieren durften.
Mich hat stets das Porträt interessiert", sagte sie in einem Gespräch mit dem Publizisten und Kunstverleger Joe F. Bodenstein 1970. Ein Bildnis muss die Wesensgleichheit des Porträtierten ausdrücken. Wer das nicht kann, soll die Finger davon lassen." Tatsächlich hatte Yrsa von Leistner schon in jungen Künstlerjahren Erfolge mit ihren Porträts. Zu den berühmtesten Männern in den 40-er Jahren zählte der Chirurg Professor Ernst Ferdinand Sauerbruch. Der Arzt war bahnbrechend bei der Entwicklung neuer Operationsmethoden sowie der Bekämpfung der Tuberkulose in seiner Zeit.
1942 stand Sauerbruch der damals 21 Jahre alten Bildhauerin Modell. Heute befindet sich die Büste in der Charité in Berlin, dem inzwischen legendären Hospital der deutschen Hauptstadt. Sie war in Anwesenheit der Bildhauerin enthüllt worden.
Das Porträt Konrad Adenauer von 1955 ist inzwischen ein zeitgeschichtliches Dokument geworden. Es kam zustande, als Yrsa von Leistner nach Kriegsende von Berlin in das Rheinland zog. Ihr erstes Atelier schlug sie in Bonn auf. Es lag an einer Straße sozusagen am Weg des Regierungschefs in das Kanzleramt, dem Palais Schaumburg. So geschah es nicht selten, dass Adenauer die Bildhauerin in ihrem Atelier besuchte. Er klopfte an und war einfach da."
Die Künstlerin erzählte über die Sitzungen mit Adenauer: Er erlaubte mir, einen Arbeitsplatz in seinem Büro einzurichten. Ich saß im Hintergrund und modellierte den Ton. Der Bundeskanzler saß unterdessen an seinem Schreibtisch und erledigte Staatsgeschäfte."
Eine Frau mit dem zweiten Gesicht"
Diese Art der Zusammenarbeit bevorzugt Yrsa von Leistner. Auf diese Weise konnte sie ihre typische Modelliertechnik nutzen. Sie kehrt das Innere des Modells nach außen. Diese Art der Erfassung des Gegenübers ist auf die große Spiritualität der Bildhauerin zurückzuführen. Die Baronin verfügt über das "zweite Gesicht". Sie ist in der Lage, dinge zu sehen - vorher zu sehen!
Das Kanzler-Porträt wurde dann später durch Vermittlung von Bodenstein in offiziellen Institutionen aufgestellt. Dazu gehörte das Adenauer-Haus in Bonn und das Auswärtige Amt der Bundesregierung. Heute befinden sich weitere Büsten in der Sammlung der Konrad-Adenauer-Foundation (Sankt Augustin/Berlin), der Europäischen Kultur Stiftung (Berlin) sowie dem Museum für Europäische Kunst Schloss Nörvenich bei Köln. (www.europaeische-kultur-stiftung.org)
Yrsa von Leistner hat in ihrem Porträt Konrad Adenauer (1876-1967) den ersten Kanzler nachdenklich und verhalten dargestellt. Er war - bei aller Freundlichkeit - voller innerlicher Spannungen", erzählte die Künstlerin in einem Gespräch mit Bodenstein. Es war immerhin die Zeit, in der Adenauer vor großen Entscheidungen stand--die er bei aller politischer Erfahrung und Klugheit selbst nicht in ihrer Tragweite voraussehen konnte."
So entstand in der Büste ein Antlitz, das mehr nach innen gewandt wirkt. Die Lippen sind schmal und signalisieren: Schweigen ist Gold. Das Adenauer-Porträt gehört zu den besonders authentischen Bildwerken, die von Konrad Adenauer geschaffen wurden.
Die größte Sammlung von Bildnissen des ersten Kanzlers der Bundesrepublik Deutschland hat Paul Wink von der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammengetragen. Entstanden war die Idee gemeinsam mit dem Adenauer-Freund, CDU-Minister und CDU-Generalsekretär Bruno Heck. Zur Sammlung Adenauer in der Kunst" gehören heute über 100 Motive in Büsten, Gemälden, Graphiken, Medaillen und Münzen von Arno Breker, Gerhard Marcks, Yrsa von Leistner, Salvador Dali, Ernst Fuchs, Mirko Donst, Graham Sutherland, Helga Tiemann, Marie-Elisabeth von Wrede, Oskar Kokoschka, E.J.K. Strahl, Hans-Jürgen Kallmann, Peter Herkenrath, Ernst-Günther Hansing, Falko Hamm, Claus-Otto Paeffgen und anderen.
("Prometheus 83/2002)