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Erica Pappritz: Der Gute Ton ist immer aktuell

Vor 36 Jahren starb die Benimm-Päpstin in Deutschland

 

 

Erica Pappritz: klare Augen, strenger Blick und ein kluges Köpfchen. Die Etikette-Expertin legte unter Konrad Adenauer das deutsche Protokoll fest.

© Foto Pappritz-Archiv/Marco-VG

 

 

Berlin/Bonn (bpb) Der gute Ton ist immer aktuell", hat Erica Pappritz gesagt. Vor 36 Jahren ist sie am 4. Februar 1972 in Bonn verstorben. Die Etikette-Dame des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer hat zweifelsohne Recht behalten. Sie hat über fünf Jahrzehnte im Staatsdienst von der Kaiserzeit bis zur Bundesrepublik dafür gesorgt, dass vor allem auf diplomatischem Parkett „gute Sitten" herrschten. Das hat natürlich auch auf die „feine Gesellschaft" Auswirkungen. Sie hat den Bürgern Orientierungshilfe gegeben.

Das waren noch Zeiten, als Pappritz auf einem der ersten Empfänge der Bonner Republik dem ersten Bundeskanzler in das Ohr zischelte: „Ein Kanzler der Bundesrepublik läuft nicht herum, er steht am Platz wie eine deutsche Eiche." Der „Alte" respektierte dies und vermied dann weitgehend, bei offiziellen Empfängen auf Gäste zu- oder ihnen sogar nachlief. Auch Küsse bei Staatsbesuchen waren bei Erica Pappritz tabu. Das überließ sie den Kommunisten. Hinter den Kulissen wurde die zierliche Dame noch deutlicher. „Die Deutschen sind kein Balkanvolk. Und sozialistische Bruderküsse, das passt nicht", konstatierte sie streng bei einer internen Protokoll-Beratungen.

Soviel Ladypower, das ist natürlich schon lange her. Heute küsst die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel fast alles was ihr bei offiziellen Ereignissen in die Quere kommt. Sie schreckt vor französischen Präsidenten ebenso wenig zurück wie vor US-Präsident George W. Bush. Er hatte ihr sogar bei einem politischen Treffen vor laufender Kamera von Hinten den Nacken massiert.

Wohltuend für TV-Betrachter ist dagegen das respektvolle Verhalten des russischen Präsidenten Valentin Putin und seines Amtsnachfolgers. Er hält sich die deutsche „eiserne Lady" auf Distanz. Kanzlerin Merkel hat jedoch für ihre Küsserei unter den EU-Regierungschefs reichlich Auswahl.

Protokollexperten sind der Ansicht, dass es mit der Politprominenz heute viel schwerer geworden ist, als früher. Es wird zwar nach traditioneller Art auch die Pünktlichkeit bei protokollarischen Abläufen geplant. Aber wer von den machtbewussten Demokraten hält sich wirklich daran?

Zugleich wagen es die Protokollbeamten gar nicht mehr, ihrem Chef oder die Chefin auf die Einhaltung der einst international hoch geschätzten Regel hinzuweisen. „Heute wissen die meisten Ministerialen ohnehin alles besser und benehmen sich, wie es ihnen passt", hört man in manchen EU-Hauptstädten. Das gilt auch für die Ministerpräsidenten und Minister der Bundesländer und Provinzen.

Erica Pappritz hätte das nicht durchgehen lassen. So wurde sie letztlich die „Benimm-Päpstin"; die selbst stets höflich und bescheiden blieb. Sie ist zu Recht auch eine Legende. Die Pappritz sagte einmal: „Legenden sterben nicht. Und letztlich ist gutes Benehmen unbesiegbar, auch wenn es oft Niederlagen erleidet."

 

 

© PROMETHEUS 129/2008

PROMETHEUS, Internet Bulletin - News, Politics, Art and Science. Nr. 129, March 2008