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Ernst Jünger 120. Geburtstag

Schriftsteller, Offizier und Insektenkundler

Von B. John Zavrel

 

Eine historische Photographie: Ernst Jünger mit dem Orden Pour le Mérite, der höchsten militärische Auszeichnung der Krone Preußens. Das Foto stammt aus dem Jahr 1922. Jünger war damals 27 Jahre. Er hatte den Ersten Weltkrieg mit mehreren Verwundungen überlebt.

Foto: Archive Juenger, Marco-VG, Bonn

 

 

Berlin/Paris (bpb) Der 120. Geburtstag von Ernst Jünger fällt auf den 29. März 2015. Der deutsche Schriftsteller starb mit 103 Jahren 1998 in Riedlingen. Dieser Ort am Südrand der Schwäbischen Alb und an der Donau liegt heute im Bundesland Baden-Württemberg. In diesem Bundesland lebte er von 1951 bis 1998 in Wilfingen. Der US-Verleger und Kunstmäzen B. John Zavrel (New York) besuchte Jünger in dessen Haus. Der nachfolgende Bericht des Autors zum 120. Geburtstag gibt einen Einblick in die private Welt Jüngers. Zavrel schreibt:

Begegnung mit einem Zeitzeugen des Jahrhunderts

„Auf meiner Europa-Reise im Jahr 1996 waren meine Frau Sandy und ich eingeladen, Ernst Jünger zu treffen. Natürlich war ich besonders gespannt, diesem Schriftsteller, Philosophen und Zeitzeugen des bewegten 20. Jahrhunderts in Europa gegenüberzutreten. Von seinen hohen Qualifikationen und Leistungen abgesehen war er bereits zu Lebzeiten eine Legende. Geboren wurde er am 29. März 1895 in der historischen Stadt Heidelberg. Dieser Ort mit seiner Jahrhunderte alten Bausubstanz zieht seit je Touristen aus aller Welt an. Zum Zeitpunkt unserer Begegnung war Jünger bereits über 101 Jahre alt.

So brachte uns im Frühlingsmonat Mai ein Auto auf gepflegten deutschen Autobahnen nach Süden bis Wilflingen, Das ist ein Ortsteil der Gemeinde Langenenslingen, im Landkreis Biberach in Oberschwaben. Seine Wohnung war in dem 1727 vom Fürstbischof von Konstanz und Augsburg Johann Franz Schenk Freiherr von Stauffenberg erbauten Forsthaus. Zuletzt diente es als Oberförsterei der Schenken von Stauffenberg.

Nach dem Einzug des neuen Hausherrn wurde das Gebäude „Das Jünger-Haus" genannt.

Das 270 Jahre alte Gebäude wirkte auf mich wie ein geheimnisvolles Palais auf dem Lande. Von solider ästhetischer Architektur, strahlte die Frontseite eine gewisse Magie aus. Die neun gleichmäßigen Fenster der Fassade wirkten wie Augen, mit denen der ungewöhnliche Bewohner alles im Blick zu haben schien. Schaute man genau hin, bot das Haus den Eindruck einer sicheren Festung, die über eine steile Doppeltreppe zum Hochparterre betreten wurde. Auf dieser Treppe schritten ich und Sandy zum vereinbarten Termin empor bis zum ersten Stock. Die Fenster dieser Etage waren durch kunstvolle Schmiede-Eisengitter geschützt.

 

Offene Tür bei unserer Ankunft

Der Eingang mit der hohen Bogentür stand bereits gastfreundlich offen. Man hatte uns pünktlich erwartet. Im Gang des Flures, der die Hausfläche optisch in zwei Hälften teilte, stand eine alte Dame mit jugendlich strahlendem Gesicht: Liselotte Jünger, die zweite Ehefrau. Jünger hatte die Germanistin und Historikerin 1962 nach dem Tod seiner ersten Frau Gretha geheiratet. Von diesem Zeitpunkt an war sie auch seine Lektorin, Chefsekretärin und sachkundige Gesprächspartnerin. In seinem autobiographischen Werk nannte er sie vieldeutig das „Stierlein", weil sie geradlinig und offenbar auch eigenwillig und zielstrebig ihre Argumente zum Tragen bringen konnte. „Frau Jünger" zu sein mit literaturwissenschaftlichem Auftrag zu arbeiten füllte sie voll aus. Daher gab sie nach der Heirat ihre Berufs-Tätigkeit als Archivarin auf.

Da stand sie nun vor uns, die 79-jährige Frau. Es lag jugendlicher Glanz in ihren mütterlich blickenden Augen. Und in einem natürlich-vertrauten Ton sagte sie: „Wir heißen Sie herzlich willkommen in Deutschland." Dann fügte sie hinzu: „Mein Mann wird gleich hier sein. " Wir wurden in das vom Eingang links liegende Zimmer des Hauses gebeten, den Empfangsraum des behaglichen Domizils.

 

Ernst Jünger 100 Jahre jung

Und so war es am 4. Mai 1996: In sprichwörtlicher deutscher Pünktlichkeit betrat Ernst Jünger den Raum. Aufrecht im Gang, sein Blick klar und forschend, aber ohne einen Spazierstock zum aufstützen. Er war schlank und rank und man kann guten Gewissens sagen; 101 Jahre jung. Er begrüßte uns mit traditionell europäischer Höflichkeit der „alten Schule": Wie war die Reise? Und wie geht es Ihnen?

Ich bedanke mich, dass er die Zeit für das Treffen gefunden hat. Er sagt: „Ich habe gerne Besuche. Aber nur in dosierter Zahl, denn ich befasse mich weiterhin jeden Tag mit der Schreiberei. Bis vor wenigen Jahren bin ich selbst noch gerne gereist, habe viele Länder auf verschiedenen Kontinenten besucht."

Inzwischen hatten wir uns an einen länglichen alten Holztisch gesetzt. Jünger in der Mitte. Er schweigt und blickte mich an. „Ja, ja, früher….." sagt er in Gedanken versunken. Ich will ihn nicht unterbrechen. Er nickt mit dem Kopf, lächelt, aber spricht nicht. Er lässt offensichtlich frühe Geschehnisse Revue passieren.

Ich blicke ihn an und merke: ich bin selbst etwas sprachlos. Der Mann vor mir ist 100 Jahre deutsche und europäische Geschichte. Geboren in der Kaiserzeit, Bürger der Weimarer Republik und ihrer Demokratie-Experimente, Teilnehmer des Ersten Weltkrieges, Soldat im Dritten Reich und Schließlich nach Kriegsende ein Leben in der von US-Soldaten besetzten Zone des übrig gebliebenen Westdeutschlands. Im hohen Alter blieb er Bürger der Bundesrepublik unter dem ersten Kanzler Konrad Adenauer..

 

Kriegserlebnisse prägten sein Leben

Schon als junger Bursche war Jünger ein toller, eigenwilliger und mutiger Kerl. Mit 17 Jahren trat er gegen den Willen seines Vaters in die Französische Fremdenlegion ein. Er wird in Algerien ausgebildet, versucht nach Marokko zu fliehen. Dort wird er aufgegriffen und ihm droht strenge Bestrafung. Auf Grund seines jungen Alters kam er nach geltendem Recht frei. Im ersten Weltkrieg kämpft er für Deutschland gegen Frankreich, wird mehrmals verwundet und ausgezeichnet mit dem „Eisernen Kreuz Erster Klasse". Am 22. September 1918 erhielt er den Orden Pour le Mérite, die höchste militärische Auszeichnung der Krone Preußens

Bereits als Schüler engagiert er sich für Recht und Ordnung. Die grausamen Erlebnisse in den Schützengräben des ersten Weltkrieges prägten sein ganzes Leben. So ist er auch durch seine Kriegstagebücher „In Stahlgewittern" zuerst bekannt geworden. In seinem „nationalistischen, anti-demokratischen und elitären Frühwerk", das der sogenannten Konservativen Revolution zugerechnet wird, kämpfte Jünger gegen die Weimarer Republik, die nach dem verlorenen Krieg in Deutschland Not, Elend und Chaos verwaltete. Er vertrat nationale Gedanken, das Prinzip der Pflicht und Leistungen für sein Volk, distanzierte sich jedoch später von der NS-Ideologie. Kritiker sahen in ihn „einen Wegbereiter des Nationalsozialismus". Diese Einstufung ist in der Forschung jedoch umstritten.

Adolf Hitler hat seine Bücher gelesen und ihn geschätzt. Das hat jedoch nicht die Einberufung Jüngers zur deutschen Wehrmacht verhindert. Während des Zweiten Weltkrieges war er unter anderem als Verbindungsoffizier in Paris. Sein Sohn Ernst aus erster Ehe fiel als Soldat der Deutschen Wehrmacht am 29. November 1944 in Italien in der Nähe von Carrara.

Auch Ernst Jünger wurde vom Schicksal in Deutschland schwer getroffen. „Ich habe nie daran gedacht, dass ich durch meine Bekanntheit als Autor von irgend einer Belastung verschont blieb", sagte er zu seinem bewegten Leben. „Ich wollte das auch gar nicht. Eine Volksgemeinschaft muss die guten Zeiten gemeinsam gestalten und die schlechten als Schicksal gemeinsam tragen."

 

Hausgemachtes Gebäck zum Tee

Die gemütliche Runde wurde noch durch eine Teestunde in familiärer Atmosphäre bereichert. Dabei wurde offenbar, dass sich Menschen, die sich noch nie zuvor begegnet waren, auf Anhieb gut verstehen können. Voraussetzung sind jedoch gegenseitiger Respekt und Achtung sowie Übereinstimmung in ethischen Werten. Die Sinnesart zwischen Jünger und seinen Gästen hat an diesem Tag korrespondiert. Moderner gesprochen sagt man: „Die Chemie hat gestimmt".

Als Überraschung zum Tee gab es hausgemachte Plätzchen. Frau Jünger hatte das Gebäck nach einem 100 Jahre alten Rezept ihrer Großmutter zubereitet. Traditionsverbundenheit strahlte auch die Einrichtung im Hause Jüngers aus. Es waren traditionelle deutsche Holzmöbel, ergänzt durch Einzelstücke aus allen europäischen Stilepochen seit dem Empire. Jedes Stück hatte eine Geschichte und einen Erinnerungswert für das Ehepaar.

Abschließend führte uns Jünger durch weitere Räume. Die Utensilien auf seinem Schreibtisch waren feinsäuberlich geordnet. „Das ist mein Werkzeug", scherzte Jünger. Dann zeigt er mit der Rechten auf das Herz und die Stirn: „Aber der Motor und das Getriebe sitzen hier!"

 

Armee der Hirschkäfer

Ein kleiner, bunter Blumenstrauß bracht Frühlingsstimmung in den Raum. Im nächsten Zimmer dann eine Überraschung, die nicht jeder zu Gesicht bekommt: die Käfersammlung. Besonders angetan war der Sammler zeitlebens von Hirschkäfern. Diese Käfer können mit einem Geweih artigen Kopffortsatz bis zu 7,5 Zentimeter lang werden.

Im zweiten Raum an der linken Seite stand ein Plan-Schrank, wie ihn Architekten für ihre Bauzeichnungen verwenden. Jünger öffnete den ersten der fünf Schubfächer. Ein ungewöhnlicher Anblick: auf hellem Grund war in soldatischer Formation das „Heer der Hirschkäfer" aufgestellt, geordnet nach eigenen Überlegungen und ästhetischem Empfinden. Die Aufteilung erinnerte an Bilder des riesigen Gräberfundes der Reiterarmee eines chinesischen Kaisers.

Wir bestaunen die Sammlung von Ernst Jünger. Er scheint dies gewohnt zu sein und sagt mit spitzbübischem Blick: „Selbst gesammelt und präpariert." Seitlich von Jüngers „Käfer-Schatztruhe" hing eine Handzeichnung „Kleiner Orpheus" des französischen Multitalents Jean Cocteau mit einer Widmung an Jünger. Sie kannten sich aus der Pariser Zeit.

Noch eine Erinnerung an die Begegnung sei hier angeführt: Bei unserem Besuch stimmte er einem Abdruck seiner Hand zu, die seit über 80 Jahren fast täglich Tagebuchaufzeichnungen ausführte. „Die Hand des Dichters" hat Jünger dem „Alexander Orden pour le Merite für Wissenschaft und Künste" gewidmet. Sie ist als Lithographie erschienen für Sammler, Literatur-Liebhaber und Geschichtsfreunde. Jünger war Ritter der internationalen Alexander-Ordens (OAG). Jünger sagte: „Diese einzigartige historische Gestalt ist mit dem Zeitalter des Hellenismus verbunden, in dem sich die griechische Kultur über weite Teile der damals bekannten Welt ausbreitete. Seine revolutionäre Leistung hat mich schon als Schüler fasziniert."

Mit dieser Erinnerung an Ernst Jünger zu dessen 120. Geburtstag soll eines Mannes gedacht werden, der in vielen Dingen ein Vorbild für die jeweils junge Generation sein kann. Diese Anregung möchte ich mit einem Zitat von Konrad Adenauer (1876 in Köln bis 19. April 1967 in Rhöndorf) ergänzen, dem ersten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland: „Wer andere ehrt, der ehrt sich zugleich auch selbst."

(28. März 2015)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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