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Tschechiens Vize-Premier erstmals im Sudetendeutschen Haus

Pavel Belobrádek geht Weg der Aussöhnung: Gedenken an die Opfer

Von Joe F. Bodenstein

 

Tschechiens Vize-Premierminister Pavel Belobrádek (Mitte mit roter Krawatte) beim Besuch im Sudetendeutschen Haus im Juli 2015 in München. Zur deutsch-tschechischen Delegation gehörten u.a. Volksgruppen-Sprecher Bernd Posselt, Arnost Marks (Vizeminister für Wissenschaft und Forschung der Tschechischen Republik) und Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle. Der Meinungsaustausch über bilaterale Themen und gemeinsame Interessen an der Europäischen Einigung war „sachlich-konstruktiv", verlautete aus Teilnehmerkreisen.

Foto: Press-pool

 

München/Prag (bpb) Eine wichtige symbolische Geste im Sinne der tschechisch-deutschen Aussöhnung: Tschechiens Vize-Premier Pavel Belobrádek hat im Juli 2015 erstmals das Sudetendeutschen Haus in München besucht. Er folgte einer Einladung von Bernd Posselt, dem Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft in der Bundesrepublik Deutschland.

Der Parteichef der tschechischen Christdemokraten ist zugleich das erste Regierungsmitglied Tschechiens, das dieses öffentlich geförderte Kulturzentrum der Sudetendeutschen Vertriebenen besucht hat, berichteten die Medien. In der deutschen Bevölkerung wird dieser Besuch als „richtiger und wichtiger Schritt auf dem Weg Tschechiens zu einem vollwertigen Partner der europäischen Einigung" zu werden. Neutrale Beobachter begrüßen die Entscheidung des Vize-Premiers, weisen jedoch darauf hin, dass diese Geste viel zu wenig sei. Sie komme 70 Jahre nach Kriegsende und gewaltsamer Vertreibung der Sudetendeutschen tatsächlich zu spät. Der Wille zur guten Zusammenarbeit sei in der Bevölkerung beider Länder viel größer als bei tschechischen Politikern.

 

Blumengebinde für die deutschen Opfer

Pavel Belobrádek hat bei dem Besuch im Kultur- und Heimatzentrum im Gedenken an die Opfer der Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg (auf Beschluss der Alliierten Siegermächte Sowjetunion, USA und England) ein Blumengebinde in den tschechischen Nationalfarben Weiß, Blau und Rot nieder gelegt. Dies ist zweifelsohne ein mutiger Vorgang, angesichts ständiger Anti-Deutscher Agitation von politischen Gruppierungen in der Tschechischen Republik.

Und wie zu erwarten war, kam sogleich wieder von den tschechischen Kommunisten (KSCM) scharfe Kritik an dem eigenen Landsmann. Der kommunistische Vizeparteichef Jirí Dolejs sagte im Tschechischen Rundfunk in Prag, Der Besuch nehme keine Rücksicht auf die Gefühle derjenigen, die im Zweiten Weltkrieg unter den deutschen Faschisten Familienangehörige verloren hätten. Der Rundfunk zitiert Dolejs „Zur Abschiebung (der Sudetendeuschen) kam es in Folge der Kriegsereignisse zuvor sowie des Münchner Abkommens, durch beides mussten die tschechischen Einwohner in den Grenzgebieten leiden. Deswegen sehen wir diese Geste als eine einseitige Tat, die viele Menschen auf der tschechischen Seite beleidigt."

Auf diese kommunistische Polemik wurde von der zur Aussöhnung bereiten deutscher Seite nicht reagiert. Es wurde jedoch auf die Tatsache hingewiesen, dass gerade die Kommunisten in der Tschechoslowakei die Politik Josef Stalins willig ausführten und über das eigene Land jahrzehntelang kommunistische Unterdrückung der Tschechen und Slowaken mit bewirkten. Das sollte auch die junge Generation Tschechiens im 21. Jahrhundert nie vergessen.

 

Regierungschef Sobotka zeigte Vernunft

Vize-Premier Pavel Belobrádek wies die Kritik der Kommunisten zurück und erklärte er habe die sudetendeutschen Opfer in München vor allem als Christ geehrt. Er verwies zugleich auch auf die jüngste Entwicklung in den Standpunkten der Deutschen: „Die sudetendeutsche Kommunität ist in der Frage der Benes-Dekrete und ihrer Eigentumsforderungen wesentlich vorangeschritten. Die Versöhnung muss deswegen beidseitig erfolgen."

Zustimmung gab es von Teilen der Opposition in Tschechien. Der Politiker Miroslav Kalousek, Vizechef der Partei Top 09, betonte: "Ich unterstütze die Versöhnungsgeste." Man solle einen Weg zur Kommunikation und zur endgültigen Versöhnung suchen, forderte der konservative Politiker.

Der tschechische Regierungschef Bohuslav Sobotka (Sozialdemokraten) brachte weitere Vernunft in die Kontroverse mit den Kommunisten. Er zeigte Lob und Verständnis für die Initiative seines Regierungspartners. Eine solche Geste der Versöhnung trage zur Verbesserung der gemeinsamen Beziehungen bei und gehöre in das sich vereinigende Europa des 21. Jahrhunderts. Der Prager Regierungs-Sprecher betonte, dass es sich bei der Reise Belobrádeks nicht um keinen Staatsbesuch handelte. Er hätte daher auch von der Regierung nicht gebilligt werden müssen.

 

(29.7.2015)

 

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PROMETHEUS, Internet Bulletin for Art, News, Politics and Science, Nr. 216, August 2015