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Liselotte Jünger im Alter von 93 Jahren gestorben

Erinnerung an die Witwe des Schriftstellers Ernst Jünger

 

Von B. John Zavrel

 

New York/Berlin (bpb) Dr. Liselotte Jünger, die Witwe des europäischen Schriftstellers Ernst Jünger (1895-1998) ist im Alter von 93 Jahren in Deutschland verstorben. Wie ihr Büro bekanntgab, starb die promovierte Germanistin am 31. August 2010 in ihrem Haus in Überlingen am Bodensee. Dort hielt sich Frau Jünger nach dem Tod ihres Mannes am 17. Februar 1998 meist auf. Sie war fast 36 Jahre mit Ernst Jünger verheiratet.

Die Europäische Kultur Stiftung (Deutschland) würdigte die Verstorbene als kluge, intelligente und beachtliche Frau, die sich „in den Dienst der richtigen Sache gestellt" habe. Als Witwe sei sie dem geistigen Vermächtnis ihres Mannes treu und seiner Vision verpflichtet geblieben. „So hat sie weder geschichtliche Fakten verdrehen oder nach dem jetzigen Zeitgeist interpretieren lassen", heißt es in einer Würdigung. Ihr historisches Denkvermögen sei zweifelsohne auch ihrer Bildung zu verdanken.

Ernst Jünger, der mit Komplimenten zurückhaltende und in öffentlichen „Liebeserklärungen" karge Schriftsteller, hat im letzten Jahrzehnt seines über 100jährigen Lebens einmal gesagt, er habe mit „meiner Liselotte" ausgesprochenes Glück gehabt. Auf die Nachfrage nach dem Warum, erwiderte Jünger generell: „Ein Künstler sollte niemals unter seinem (geistigen) Niveau heiraten, denn das kann nicht gut gehen. Spätestens nach dem Tod des Mannes entwickelten Witwen erfahrungsgemäß oft kontraproduktive Eigenschaften. Von einem solchen „Niveau" ist das Literatur-Denkmal Ernst Jünger verschont geblieben.

Seine zweite Frau Liselotte, die er als Witwer heiratete, wurde am 10. Mai 1917 in Heilbronn am

Neckar geboren. Sie war die Tochter des Kaufmanns Carl Eugen Baeuerle und seiner Ehefrau Lisette (geborene Hermann). Sie absolvierte von 1924 bis 1936 in Heppenheim an der Bergstraße verschiedene Schulen und machte abschließend ihr Abitur. Unmittelbar danach wurde sie (wie im „Dritten Reich" üblich) zum so genannten Arbeitsdienst eingezogen. Diesen leistete sie in Obererbach im Westerwald.

Vom Wintersemester 1936/1937 bis Wintersemester 1937/1938 studierte sie an der Hochschule für Lehrerbildung in Darmstadt. Anschließende folgte ein Studium der Germanistik, Geschichte, Indogermanistik und Archäologie in Gießen und Berlin. Das Staatsexamen für das Höhere Lehrfach legte sie 1942 ab. Ein Jahr später promovierte sie mit einer Arbeit über den oberschwäbischen Barockdichter Sebastian Sailer.

Bereits 1940 hatte sie als Lieselotte Kaufmanns in Nürnberg den Archiv-Referendar Oberleutnant Wolf Lohrer geheiratet. Ein gutes Jahr später war sie schon erstmals Witwe. Ihr Mann fiel 1941 in Russland im Kampf der Deutschen gegen die kommunistische Sowjetunion.

In ihrem Berufsleben war sie von Oktober 1943 bis März 1953 Archivarin und Lektorin in Verlag J.G. Cottasche Buchhandlung Nachfolger an dessen kriegsbedingter Außenstelle in Überlingen am Bodensee. Anschließend wirkte sie bis 30. Juni 1962 als Archivarin am Schiller-Nationalmuseum zu Marbach am Neckar.

 

Und dann kam Jünger…

Die große Wende im Leben von Ernst Jünger und seiner späteren Ehefrau kam offiziell am 3. März 1962. An diesem Tag nahm der damalige Bürgermeister Karl Beller von Wilfingen als Standesbeamter die Trauung vor. Im Anschluss daran erfolgte die evangelische kirchliche Trauung im Münster zum Heiligen Kreuz.

Kennengelernt hatten sich beide bereits am 50. Geburtstag von Jüngers Bruder Friedrich Georg am 1. September 1948 in Überlingen. Bald darauf wurde Liselotte Lohrer die Lektorin des Schriftstellers. Sie war damals 31 Jahre.

Rückwirkend hat sich diese Verbindung sehr glückbringend für beide erwiesen. Der bereits berühmte, eigensinnige und „starke" Jünger, der selbst schmerzhafte Schicksalsschläge im ersten und zweiten Weltkrieg erlitt, ist endgültig heimgekehrt zu seiner Berufung als Schriftsteller. Die wichtige und zeitraubende Lektorat-Arbeit nahm ihm seine kompetente, 22 Jahre jüngere Frau ab. Breits rund 14 Jahre vor ihrer Heirat hatte sie als Lektorin am „Denkmal Jünger" fachlich mitgewirkt. Nach dem Tod galt ihr Einsatz gleichermaßen, den Mythos Ernst Jünger transparent zu machen. Ihr ist auch zu verdanken, dass Jüngers Domizil in Wilfingen zur musealen Gedenkstätte ausgebaut wurde. Zu seiner Sammlung gehört das erste authentische Porträt „Ernst Jünger", für das er dem Bildhauer Arno Breker mehrere Tage Modell saß. Je ein weiteres Exemplare dieser Porträtbüste befindet sich im Museum Europäische Kunst Schloss Nörvenich (NRW) und im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in der früheren Bundeshauptstadt Bonn.

Große Verdienste an dieser Entwicklung hat zweifelsohne die erste Kustodin des Jünger-Museums, Monika-Miller-Vollmer. Sie kam bereits im August 1990 als „Mitarbeiterin" in das Haus von Ernst und Liselotte Jünger. Der Schriftsteller hatte die damals 28jährige Frau nach einem persönlichen Gespräch mit ihr im Einvernehmen mit seiner Ehefrau engagiert. Der selbstlose Einsatz von Miller-Vollmer hat dazu geführt, dass sie bald Vertraute, Beraterin und Sachkennerin im Hause Jünger wurde. Besucher gingen oft davon aus, dass sie eine Tochter sei.

Mit dem Tod von Ernst Jünger wuchs der „Wahlverwandten" Monika Miller-Vollmer neue Verantwortung zu. Heute ist sie die beste Sachkennerin der Lebensart sowie des Zeit- und Lebensablaufes des Ehepaares. Sie war die letzten acht Lebensjahre von Ernst Jünger „mit Familienanschluss" im Haus und insgesamt 18 Jahre der Frau des Schriftstellers eine „enge und treue Freundin", soweit dies angesichts des biblischen Alters der inzwischen Verstorbenen gesagt werden kann.

 

Der letzte Brief mit Dank an alle

So hat Dr. Liselotte Jünger offensichtlich den letzten wichtigen Brief zum Ende ihres Lebens an Monika Miller-Vollmer geschrieben. Sie hat das protokollarische Zeremoniell nach ihrem Tod in der Hände der „Wahlverwandten" gelegt und gebeten, nicht zu viel Aufhebens zu machen. „ich bitte um eine kurze Ansprache", heißt es in dem Schreiben von Liselotte Jünger bescheiden. Dabei möge man sich an Psalm 104 orientieren, „der meine Liebe zur Schöpfung, meine Dankbarkeit für sie zum Ausdruck bringt". Und weiter heißt es: „Dankbar bin ich auch für ein glückliches, reiches Leben voll von großer menschlicher Zuwendung. Allen Freunden, Mitarbeitern, Nachbarn und Bekannten nah und fern gilt mein herzlicher Dank!"

Entsprechend der im „Abschiedsbrief" von Liselotte Jünger geäußerten Wünsche organisierte Monika Miller-Vollmer „alle Formalitäten". Der evangelische Pfarrer von Pflummern, Hans Rieger, nahm die Beisetzung an der Seite des verstorbenen Ernst Jünger vor.

Auf Schloss Nörvenich, dem Tagungsort in Europa des internationalen Alexander Orden pour le Mérite für Wissenschaft und Künste, war die Europa-Flagge eine Woche lang auf halbmast gesetzt. Im Alexander-Garden des US-Museum of European Art (MEAUS) in Clarence, N.Y. wurde die Alexander-Flagge zum Gedenken an Liselotte Jünger gehisst, die Ehren-Ritterin des Ordens (Knight OAG) war.

 

Das Foto zeigt die „Försterei" in Wilfingen. Dort hat Ernst Jünger mit seiner Frau Liselotte viele Jahrzehnte bis zu seinem Tod gewohnt. Es ist nun museale Gedenkstätte für den Schriftsteller und Philosophen. Die Witwe Jünger hat den Nachlass nicht Verwandten überlassen, sondern dem Ernst Jünger Museum geschenkt und damit in „gute Hände" gegeben.

 

 

II. Foto:

Das Foto zeigt den Autor dieser Würdigung, Konsul B. John Zavrel, mit Ernst Jünger und seiner Frau in Wilfingen. Bei dieser Gelegenheit hatte OAG-Knight Jünger einen Original-Handabdruck für die Sammlung der Europäischen Kultur Stiftung (EKS Deutschland) und des Alexander-Ordens gemacht.

Copyright: Foto Marco-VG, Bonn

 

 

Copyright 2010 PROMETHEUS

PROMETHEUS, Internet Bulletin for Art, News, Politics and Science, Nr. 161, November 2010