Winifred  Wagner: Die HOHE FRAU VON BAYREUTH

Von Zeitzeuge Winfried Zimmermann

 

Mit einer Einführung von B. John Zavrel

 

Der nachfolgende Beitrag des Zeitzeugen Winfried Zimmermann führt uns direkt in das "Inside Bayreuth". Er berichtet vom Musik-Imperium des Richard Wagner (* 22. Mai 1813; +13. Februar 1883 in Venedig) und seiner in England geborene Schwiegertochter Winifred Wagner. Sie war bekannt mit dem Autor dieses Beitrags.

Er würdigt die Leistung von Winifred Wagner als langjährige Chefin der internationalen Bayreuther Opern-Festspiele sowie deren Fortsetzung im Zweiten Weltkrieg. Nach Kriegsende 1945 und den Abzug der US-Amerikanischen Besatzungstruppen aus Bayern gelang es der Erebin Wagners unter großen Opfern die Festspiele fortzusetzen. Damit hat sie das Lebenswerk von Richard Wagner gesichert. Der deutsche Komponist, Dramatiker, Dichter, Autor, Theaterregisseur und Dirigent gilt mit seinen Musikdramen als einer der bedeutendsten Erneuerer der klassischen Musik im 19. Jahrhundert.

Portrait Richard Wagner von Arno Breker (1939)

 

 

 

Haus Wahnfried um 1920

 

Zur Einführung: Mein Weg nach Bayreuth

Im Herbst 1975 besuchte ich das erste Mal Bayreuth. Die Musik Richard Wagners hatte mich schon als Jugendlicher interessiert.  Das Eintauchen in seine mythologischen Klangwelten wirken auf mich hypnotisierend. 

Also fuhr ich  nach Bayreuth, um Wagners letzte Wirkungsstätte kennenzulernen. Haus Wahnfried war damals eine Baustelle und wurde gerade zur Hundertjahrfeier der Festspiele (Juli 1976) zum Museum umgebaut. Das Haus war im April 1945 durch ein angloamerikanisches Bombardement erheblich beschädigt worden. Bis zu seinem frühen Tode 1966, hatte Wieland Wagner Wahnfried für seine Zwecke behelfsmäßig umgestaltet und für sich und seine  Familie als Wohnhaus genutzt.  Durch die Stiftungsidee der Familie sollte nun Wahnfried in alter Form als Museum wiedererstehen.

Ebenfalls im Jahre 1975 hatte der Filmemacher Hans Jürgen Syberberg einen ungewöhn-lich langen, fünfstündigen Interview-Film mit dem Titel: „Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914&endash;1975"  herausgebracht. Für Wagner-Interessierte eine gute Quelle, um sich in die neuere Familiengeschichte  hineinzudenken. Die Veröffentlichung des Films schlug damals „hohe Wellen", da der Film WWs Rolle in den 1930/40iger Jahren und ihre Freundschaft zu Adolf Hitler thematisierte. Durch heimlich eingebaute  und nicht abgesprochene Interview-Passagen brach WW alle Kontakte zu Syberberg ab.  Wolfgang Wagner gab den Film zur Vorführung trotzdem frei.

So begann ich mich auch für ihre Person und ihren Lebenslauf genauer zu interessieren.

 

Zur Person: Winifred Wagner &endash; vom Waisenkind zur „Hohen Frau"

 

 

 

 

 

Winifred Wagner wurde am 23. Juni 1897 in Hastings, nahe der englischen Kanalküste, als Tochter des Journalisten John Williams und dessen Frau, der Schauspielerin Emiliy Florence, geboren. Sie verlor sehr früh ihre Eltern, den Vater im Alter von einem und die Mutter im Alter von zwei Jahren. Als Vollwaise, ohne Geschwister, mit nur wenigen Verwandten, hatte sie eine recht betrübliche Kindheit ohne echte Zuwendung. Als sie zehn Jahre alt war, meldete sich plötzlich eine entfernte Verwandte aus Deutschland.  Dies war die Gattin des 78jährigen Pianisten, Dirigenten und Lisztschülers Karl Klindworth, Freund Richard Wagners und dessen Klavierauszügler. Sie lebten der Nähe von Berlin , in Oranienburg und gehörten zur „Lebens-Reformer-Bewegung" (nach Diefenbach) in der „Obstbaukolonie Eden".

 

 

Das Ehepaar Klindworth mit ihrem Adoptivkind Winifred 

 

 

Zum ersten Mal 1914 in Bayreuth

 

Sie nahmen Winifred auf und beeinflussten ihr zukünftiges Leben entscheidend. Somit kam Winifred in ein musikalisches Haus und wurde durch Klindworth „im Sinne Richard Wagners erzogen", wie sie später in ihren Lebenserinnerungen berichtete.                                                           

Jedes Jahr, wenn Festspiele angesagt waren, wurde Klindworth von Cosima Wagner zu den Generalproben der Wagner-Festspiele nach Bayreuth eingeladen. Mit 17 Jahren durfte auch Winifred die Festspiele zum ersten Mal erleben. Am 22. Juli 1914 lernte sie den 45jährigen Sohn Richard Wagners, Siegfried, kennen, in welchen sie sich sodann verliebte.

 

 

    Das junge Paar                                             

 

 

Mit ihrem ersten Spross Wieland

 

 

Die glücklichen Eltern mit (von l. n. r) Wolfgang, Verena, Friedelind und Wieland

 

Im September 1915 heirateten sie bereits. Es war  eine glückliche Ehe, zumal sich die beiden in menschlicher und musikalischer Hinsicht sehr gut ergänzten. Am 5. Januar 1917 wurde aus ihrer Ehe der erste Sohn Wieland geboren und es folgten noch drei weitere Kinder. Diese waren Friedelind (1918), Wolfgang (1919) und Verena (1920). Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges erzwang einen Abbruch der Festspiele. Aufgrund der Wirtschaftskrise nach dem Krieg konnten die Festspiele erst 1924, zehn Jahre später, wieder fortgesetzt werden. Trotzdem waren diese Jahre sehr schwierig und brachten viele finanzielle Sorgen. 1930 war für die Familie Wagner ein Schicksalsjahr. Am 5. April starb Cosima, im Alter von 93 Jahren. Nur wenige Monate später, im 4. August verschied plötzlich auch Siegfried 61jährig an einem Herzleiden. Er hatte testamentarisch verfügt, dass Winifred die Nachfolge der Festspielleitung übernehmen sollte. Das war eine große Herausforderung. Sie verstand es, durch die Einbindung von Richard Strauss,  Wilhelm. Furtwängler, Heinz Tietjen, Emil Pretorius  und vielen anderen Musikinterpreten, eine künstlerische Hochphase der Festspiele herauszubilden.

 

Ein eingespieltes Festspiel-Team 1931

Alexander Spring, Wilhelm Furtwängler, Heinz Tietjen, Winifred Wagner und Arturo Toscanini

 

Der Ort der Begegnung mit WW:  Das Siegfried-Wagner-Haus um 1900

Siegfried Wagner, der ursprünglich Architekt werden wollte, hat sich dann doch der Musik zugewandt. Sein musikalischer Lehrer und Mentor war Engelbert Humperding, der bei Richard Wagner als Assistent bei den Festspielen fungierte. Humperding  wurde vor allem durch seine Märchenoper „Hänsel und Gretel berühmt.  Auch Siegfried Wagners Kompositionen haben überwiegend Märchenstoffe zum Inhalt.

1890  arbeitete er mit den Wahnfried-Architekten Carl und Heinrich Wölfel die Entwürfe für den Bau eines Renaissancebaus im italienischen Stil aus.  Es liegt direkt links neben dem Haus Wahnfried und war 1894 zweigeschossig gebaut worden. Es sollte als Junggesellenhaus und Rückzugsort  für seine kompositorische Arbeit dienen.

Es ist in seiner jetzigen Form 1932 und 1935 mehrfach umgebaut worden. Der Bayreuther Architekt Hans Reissinger macht aus dem Haus nach den Ideen Winifreds eine repräsentative  Gästeunterkunft.

 

 

Das Siegfried-Wagner-Haus um 1900

 

Zum Besuch bei Winifred Wagner

Am Freitag, den 9. Juni 1978, gegen 11:00 Uhr, standen meine Frau und ich, wie vereinbart, vor ihrem Domizil in Bayreuth. Meine liebe Frau, Gabriele Zimmermann, die ich 1974 beim Studium in Mönchengladbach kennengelernt habe, teilt meine Interessen von Anfang an. So hatte ich eine interessierte Musikliebhaberin und gute Gesinnungsgenossin an meiner Seite.

Wir läuteten an der Haustür. Eine Bedienstete empfing uns und führte uns  in einen großen Zebrano-holzgetäfelten Wohnraum mit einem schönen Sandsteinkamin. Die figürlichen Darstellungen waren vom Düsseldorfer Bildhauer Willi Hoselmann ausgearbeitet. Sie stellen Familienszenen und Sternzeichen der Kinder Winifreds und Siegfrieds dar.

Dort empfing uns WW. Wir erfuhren später, dass er der Musiksaal des Hauses gewesen war und In den 1930iger Jahren als denkwürdiger Besuchsräumlichkeit  von Arturo Toscanini, Richard Strauß, Adolf Hitler und anderen Gästen gedient hatte. Die eigenwillige Deckenkonstruktion hat akustische Gründe. Winifred Wagner ließ damals als Festspielleiterin hier das Vorsingen und nicht mehr, wie üblich, dies in der Halle von Haus Wahnfried  machen.

 

 

 

Das Siegfried-Wagner-Haus im heutigen Zustand

 

 

Der  Musiksaal um 1978

 

 

 

Wir nahmen an einem großen Tisch am Fenster des Hauses Platz. WW saß vor Kopf unter einem großen Cosima-Wagner-Gemälde von Hubert von Herkomer  (1849-1914) und begann freundlich und interessierte auf unsere Fragen einzugehen.

 

Die Themen des Gesprächs gebe ich nur stichpunktartig wieder. Die waren u. a:

 

·      Ihre Jugendzeit als Waisenkind in England

·      Ihre Adoption durch das Ehepaar Klindworth

·      Die Weltanschaung von Karl Klindworth und seiner Gattin mit Winifred in Oranienburg als „Lebensreformer"

·      Ihre Rolle als jüngstes Mitglied der Wagnerfamilie als „das Kindchen"

·      Die Festspielgeschichte unter ihrer Ägide,

·      Cosima Wagners Leben in Wahnfried im hohen Alter

·      Die unwürdige Beschlagnahme des Festspielhauses und des Siegfried-Wagner-Hauses durch die amerikanischen Besatzungstruppen,

·      Ihre zwangsweise Übersiedlung ins Ferienhaus nach Oberwarmen-steinach  ins „Exil" bis zur Freigabe des Siegfried-Wagner-Hauses durch das CIC (Counter Intelligence Corps) des amerikanischen Nachrichtendienstes 1957

·      Die Idee und Rolle der Stiftung zur Bewahrung des Wagner-Erbes

·      Der Umbau von Haus Wahnfried  zum Museum unter ihrer tatkräftigen Mithilfe für einen detailgenauen Wiederaufbau

 

Das Gespräch verlief so interessant und harmonisch, dass sie zu unserem Erstaunen uns dazu einlud, die Diskussion am frühen Nachmittag fortzusetzen. Da es dabei auch zu Themen der Festspielgeschichte ging, rief sie Liese-Lotte Strobel hinzu. Die war die Witwe des Archivars der RW- Forschungsstätte Bayreuth, Otto Strobel, und spätere Leiterin des Archivs und konnte somit sehr viel Ergänzendes beitragen. Die Zeit „verging wie im Fluge". Wir verabschiedeten uns gegen 18:00 Uhr von den beiden Damen und verließen das Haus beglückt und ergriffen. Wir hatten eine große   charismatische Persönlichkeit erlebt

 

Dieser Tag ist uns als eindrucksvolles Erlebnis in Erinnerung geblieben.

Wir hatten später das Glück, WW noch mehrfach, während der Festspielzeit, in Bayreuth besuchen zu dürfen. Auch hier begrüßte sie uns immer entgegenkommend und aufgeschlossen.

                   

 

WWs Einstellung für ihre Aufgabe in Bayreuth

Sie hat bereits ihre Auffassung der Kunstbetrachtung  am Ende der Festspiele 1931 in einem Zeitungsartikel einer Bayreuther Tageszeitung unter dem Titel: „Bayreuth und die Gegenwart" dargestellt.

 

Sie stellte damals fest:

„Wenn es auch noch verfrüht ist, für das nächste Festspieljahr 1933 Pläne zu machen, so kann man die Aufgabe Bayreuths in folgenden Worten zusammen fassen: Das Werk Richard Wagners dem modernen Empfinden anzupassen und dabei eine lebendige Tradition zu pflegen, die dazu dienen soll, durch das Werk des Meisters das Publikum zu echtem Kunstgenuss zu erheben".

 

Den modernistischen Inszenierungen unter Leitung ihrer Söhne Wieland und Wolfgang stand sie z. T. kritisch gegenüber.

 

 „ Experimente kann man meinetwegen anderswo machen. In Bayreuth muss das Beste vom Besten dargeboten werden, in gültigen Interpretationen, musikalisch wie szenisch. Überhaupt ist die Überbewertung unseres heutigen Regietheaters ein Übel… So man heute Geräusche mit dem Intellekt  macht und das moderne Musik nennt, so sehr ist der zergliedernde Intellekt auch dem Werk Richard Wagners nicht zuträglich…..

Sehen Sie nach, was Wagner zum Beispiel für die erste Rheingold-Szene vor-

schreibt. Nämlich auf dem Grunde des Rheins. Eine Ur-Natur. Und nicht eine Staustufe im Industrie-Zeitalter, wie Chereau das zeigt."  

 

 

 

1977 portraitierte Arno Breker WW

 

Sie bemühte sich, den „Gral" in Bayreuth reinzuhalten. Niemals wurde sie sich dabei selbst untreu oder hat zum Zeitgeiste konvertiert.

Im Film sagte sie:

„Wenn wir`s mal ganz klar und deutlich sagen wollten: Ich habe alles auf meinen Buckel genommen, ich war der Sündenbock und hab`s ganz gut überstanden und dadurch die beiden Jungs reingewaschen".

Es bleibt von WW, die Syberberg eine „Shakespear-Gestalt im Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts" nannte, nur die Erinnerung an eine große Frauengestalt und ein Dokumentarfilm, in dem sie am Ende ihres Lebens eine Generalbeichte ablegte ohne je an sich selbst zu zweifeln.

Der Bayreuther Bürgermeister Dr. Mronz würdigt WW aus Anlass ihres 100sten Geburtstages am 23.Juni 1997 mit dem Bekenntnis:

 

„Ohne WW gäbe es heute keine Bayreuther Festspiele"

 

WW starb am 5. März 1980 82-jährig in Überlingen am Bodensee.

 

 

 

 

( C ) Photo WW-History-Archive

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